Kārt­tika in Südindien

Im Jahre 1950 beschloss Ācārya Kesarī, dem Kārttika-Gelübde (kārttika-vrata) in Süd­in­dien zu folgen und eine Pil­ger­reise zu den dor­tigen hei­ligen Orten zu unter­nehmen. Er nahm Śrīla Guru­deva mit sich, der ihm beim Orga­ni­sieren der Reise zur Hand gehen sollte. Ācārya Kesarī mie­tete einen leeren Eisen­bahn­waggon von der Regie­rung, in dem er die zwei­hun­dert Pilger, die ihn beglei­teten, beher­bergte. Es gab in dem Waggon keine Schlaf­bänke, nicht einmal Sitz­bänke. Also spannten die Pilger darin ein­fach ihre Mos­ki­to­netze auf. Wenn Ācārya Kesarī von einem Ort zum Ort zum näch­sten fahren wollte, rich­tete er ein, dass ihr Waggon an einen Zug ange­hängt wurde, der vom jewei­ligen Bahnhof zu ihrem näch­sten Bestim­mungsort fuhr.

Ācārya­deva und seine Gefolg­schaft waren in ihren Ess­ge­wohn­heiten sehr strikt. Sie aßen nichts, was von Per­sonen gekocht worden war, die keine dīkṣā-Ein­wei­hung besaßen. Sie tranken nicht einmal Wasser, wel­ches von Nicht­ein­ge­weihten ange­boten wurde, denn Ācārya Kesarī lehrte, dass dies einem Ver­gehen gegen die Gott­heit des Man­tras gleich­kommt. Als Folge sol­chen Ver­ge­hens wird sich die Gott­heit des Man­tras von dem Prak­ti­zie­renden ent­fernen und der Mantra seine spi­ri­tu­elle Kraft ver­lieren. Śrīla Guru­deva half beim Kochen für die Pilger mit dem Koch­zu­behör, das sie mit sich führten.

Ācārya Kesarī, Śrīla Guru­deva und ihre Gruppe rei­sten zuerst nach Jagan­nātha Purī. Dann ging es weiter nach Siṁhā­calam, wo Jiyaḍa-Nṛsiṁha auf einem hohen Berg resi­diert. Nachdem Er den Dämon Hiraṇ­y­a­kaśipu getötet hatte, nahm Śrī Nṛsiṁha­deva Prahlāda mit sich auf die Erde und kam zuerst an den Ort, der heute Siṁhā­calam genannt wird. Dort trug Prahlāda lie­be­voll San­del­holz­paste auf die Füße und auf den Körper Nṛsiṁha­devas auf, um Seinen Zorn zu besänf­tigen. Diesem Brauch fol­gend, tragen die Prie­ster noch heute täg­lich der Bild­ge­stalt Nṛsiṁha­devas can­dana (San­del­holz­paste) auf. Dieser can­dana sam­melt sich das Jahr über als eine Schicht auf Seinem Körper und wird einmal im Jahr, an Nṛsiṁha­devas Erschei­nungstag, von Ihm abge­nommen. Zu diesem Anlass wird ein rie­siges Fest ver­an­staltet, mit Hun­dert­tau­senden Besu­chern, die der Zere­monie bei­wohnen. Sobald der Prie­ster den can­dana von Nṛsiṁha­devas Augen ent­fernt, ent­zünden sich augen­blick­lich der Palmblatt-Schmuck, das Fest­zelt oder andere Dinge in der Nähe, ent­flammt durch das Feuer des Zornes Śrī Nṛsiṁha­devas auf die­je­nigen, die seine Geweihten angreifen. Wäh­rend sie das Feuer löschen, rufen die Helfer den Prie­stern zu: „Bedeckt Seine Augen! Schnell!“ Die Prie­ster tragen dann sofort can­dana auf Nṛsiṁha­devas Augen auf und Er beru­higt Sich.

Von Siṁhā­calam fuhren sie nach Raja­mundhry und von dort aus weiter in die Rāya Rāmān­anda Gauḍīya Maṭha in Kovur, nahe des Godāvarī-Flusses. Ācārya Kesarī beschrieb den Ruhm Godā­varīs und des Ortes Ghoṣa-Pāda-Tīrtha, an dem die Sieben Weisen (Sapt­arṣi) ihren bha­jana aus­führten. Die Ver­kör­pe­rung des Godāvarī-Flusses ist Mahālakṣmī, die Energie Śrī Viṣṇus. Sie war durch Gautama Ṛṣis Ent­sa­gung erfreut und offen­barte Sich vor ihm. Wo immer Lakṣmī gegen­wärtig ist, wird sich gewiss auch Śrī Viṣṇu auf­halten. Viṣṇu erschien vor Gautama Ṛṣi und der Hei­lige wusch Śrī Viṣṇus Lotosfüße mit dem Wasser der Godā­varī und bewahrte den caraṇāmṛta auf, um ihn für seine spi­ri­tu­ellen Rituale zu ver­wenden. Schließ­lich erschien auch Śrī Brahmā und gewährte Gautama eine Segnung.

Gautama Ṛṣis mäch­tige Ent­sa­gungen ärgerten Indra, den Königs des Him­mels, denn er befürch­tete, Gautama könnte sich seines Postens bemäch­tigen. Indra sandte himm­li­sche Mäd­chen, um Gaut­amas Gelübde zu bre­chen, doch ihr Vor­haben schlug fehl. Dar­aufhin sandte Indra den Mond­gott Candra, um Gautama zum Zorn zu ver­leiten. Candra nahm die Gestalt Gaut­amas an und begab sich zu Gaut­amas Frau Ahalyā, wäh­rend der echte Gautama anderswo seiner Mor­gen­ver­eh­rung nach­ging. Als Gautama in sein Āśrama zurück­kehrte, traf er seinen Dop­pel­gänger mit seiner Frau an. Er schlug Candra mit seiner Gras­matte und ver­fluchte ihn, jeden Monat mehr und mehr seiner Kraft zu ver­lieren. Zudem ver­fluchte er Ahalyā, ein Stein zu werden. Als sie ihn anflehte, ihren unschul­digen Fehler ver­zeihen, gewährte ihr Gautama die Seg­nung, dass sie von ihrem Fluch befreit sein möge, wenn Śrī Rāma erscheinen und sie mit Seinen Füßen berühren würde.

Lange Zeit später erschien Rāma­candra, um Seine Spiele mit Seinen Geweihten zu voll­führen und befreite Ahalyā. Er seg­nete auch diesen Ort, damit er vor Halb­göt­tern, himm­li­schen Frauen oder Dämonen beschützt sein würde und die Asketen ohne Stö­rung ihrer Ver­eh­rung und Medi­ta­tion nach­gehen konnten. Scharen von Weisen und sādhakas ließen sich dar­aufhin dort nieder. Cai­tanya Mahāprabhu, auf Seiner Reise nach Süd­in­dien, traf an dieser spi­ri­tu­ellen Stätte Rāmān­anda Rāya. Heute steht an diesem hei­ligen Platz eine Gauḍīya-Maṭha.

Von dort aus reiste Śrīla Guru­deva mit Ācārya Kesarī nach Maṅ­ga­la­giri und danach nach Pānā-Nṛsiṁha. Aus Siṁhā­calam kam Śrī Nṛsiṁha­deva an diesen Ort. Er nahm Prahlāda auf Sein Schoß und trank ein Getränk mit braunem Zucker und küh­lenden Gewürzen wie Pfeffer und Fen­chel, das ihm die Halb­götter dar­brachten, um seinen Zorn auf die Gräu­el­taten Hiraṇ­y­a­kaśipus zu besänf­tigen. Śrī Lakṣmī steht in einiger Ent­fer­nung von Nṛsiṁha­deva, weil sie Seine gräu­liche Form fürchtet. Von dort aus sendet sie täg­lich durch Prahlāda die Getränke.

Auch heute noch kommen täg­lich Tau­sende Leute und opfern Śrī Nṛsiṁha­deva dieses Getränk. Von jeder Opfe­rung trinkt Nṛsiṁha­deva je nach seinem Wunsch einen Teil und gibt den Rest zurück. Sobald er zufrieden ist, vibriert sein stei­nerner Kopf, als ob Er mit­teilt: „Das ist genug.“ Dann gibt er einen tiefen Laut wie „Ahhh“ von sich und der Rest des Getränkes fließt als prasāda aus seinem Mund, worauf die Prie­ster es an die Besu­cher ver­teilen. Jemand, der dieses prasāda mit Ver­trauen zu sich nimmt, dessen Zorn und andere kar­mi­sche Feuer aus unzäh­ligen ver­gan­genen Leben werden ohne Umschweife gelöscht. Cai­tanya Mahāprabhu besuchte diesen Ort und hin­ter­ließ in tiefer Liebe zu Prahlāda die Abdrücke Seine Füße in einem Stein. Zu Ehren dieser Fuß­ab­drücke grün­dete Prab­hupāda Saras­vatī Ṭhā­kura an diesem Ort einen Tempel.

Weiter ging die Pil­ger­reise nach Śrī Kāla­hasti, wo Śiva und Pār­vatī resi­dieren, und von dort aus zum Tempel Mur­gams (Kārt­ti­keyas), des jün­geren Bruder Ganeṣas. Eine rie­sige Bild­ge­stalt Kārt­ti­keyas, schon aus vielen Meilen Ent­fer­nung zu sehen, befindet sich dort auf einem Berg. Danach besuchten sie Madurai, den Ort Mīnākṣī­devīs, als­dann Śiva-Kāñcī und danach Viṣṇu-Kāñcī. Ācārya Kesarī erzählte über den lie­be­vollen Streit zwi­schen Śiva und Viṣṇu, der hier einmal aus­ge­bro­chen war. In der Stadt gibt es zwei Tempel, einen für Śiva und einen für Viṣṇu. Die Anhänger Śivas und Viṣṇus in dieser Gegend streiten fort­ge­setzt mit­ein­ander. Vaiṣṇavas sind reine Vege­ta­rier, Śivaiten hin­gegen sind dafür bekannt, Fleisch zu essen. Beide Tempel besitzen Seen, doch wäh­rend in Śivas See keine Fische zu finden sind, leben in Śrī Viṣṇus See ver­schie­dene Arten großer Fische. Nachts schlei­chen sich die Nach­folger Śivas zu Viṣṇus See, um die Fische zu fangen. Die ver­är­gerten Vaiṣṇavas geraten dann mit den Dieben aneinander.

Alle Ācāryas der vier Vaiṣṇava-Sampradāyas, Rāmānuja, Madhva, Viṣṇus­vāmī und Nim­bā­ditya, besuchten diese Stätte und debat­tierten mit den füh­renden Śivaiten. Auch Cai­tanya Mahāprabhu kam und traf sich hier mit den Śivaiten. Diese fragten Mahāprabhu: „Wer ist größer – Śiva oder Viṣṇu?“

Die Śivaiten-Gelehrten zitierten Verse aus den Schriften, die ihrer Aus­le­gung gemäß Śivas Über­le­gen­heit beweisen sollten, aber Cai­tanya Mahāprabhu besiegte sie in der Debatte und kon­ver­tierte sie zu Vaiṣṇavas. Mahāprabhu sagte: „Gaṅgā ist das Fuß­ba­de­wasser Śrī Viṣṇus und Śiva hält ihr Wasser immer auf Seinem Kopf, Śrī Viṣṇus Über­le­gen­heit ist daher offensichtlich.“

Ācārya­deva erklärte, warum die Śivaiten und die Vaiṣṇavas mit­ein­ander streiten: „Śiva Ṭhā­kura trägt einen Drei­zack. Dieser reprä­sen­tiert die drei Erschei­nungs­weisen der mate­ri­ellen Natur. Die mitt­lere Zacke steht für die Erschei­nungs­weise der Unwis­sen­heit (tama) und die beiden äußeren Zacken für die Erschei­nungs­weisen der Tugend und der Lei­den­schaft. In der mate­ri­ellen Welt kämpfen diese drei Erschei­nungs­weisen um Vor­herr­schaft, wie es in der Bhagavad-Gītā beschrieben wird. Manchmal gewinnt die Tugend die Ober­hand über die Unwis­sen­heit und manchmal anders­herum. In glei­cher Weise sind die Nach­folger Śivas manchmal den Vaiṣṇavas unter­legen und manchmal über sie sieg­reich. Das ist die Natur dieser mate­ri­ellen Welt.“

Als nächste Sta­tion begab sich Ācārya Kesarī mit seinen Beglei­tern nach Rāmeś­varam, Dha­nuṣ­koṭi und dann Kany­ā­kumārī, wo Pār­va­tī­devī Ent­sa­gungen auf sich nahm, um Śiva zum Gemahl zu erlangen. Danach kam die Gruppe nach Śrī Raṅgam, Tiru­pati, Tir­um­alaī und Kala­hasī, wobei sie unter­wegs noch andere Plätze besuchten.

Śrīla Guru­deva diente wäh­rend der Pil­ger­reise Tag und Nacht: er besorgte die für die Pilger not­wen­digen Dinge, orga­ni­sierte das hari-kathā an, küm­merte sich um die kīr­tana-Instru­mente, säu­berte Töpfe und Koch­ge­schirr, ging zum Markt ein­kaufen und erle­digte tau­sen­derlei Dinge. Śrīla Guru­deva dachte: „Ich bin kräftig und gesund. Ich ver­suche früh vor allen anderen auf­zu­stehen, aber ich sehe meinen Guru Mahārāja spät schlafen gehen und noch vor mir auf­wa­chen. Er chantet und beendet seine spi­ri­tu­ellen Tätig­keiten mor­gens, und danach leitet er den Parik­ramā, küm­mert sich den Tag hin­durch um die Pilger und schenkt ihnen Inspi­ra­tion für ihr spi­ri­tu­elles Leben.“

Nachdem sie nach Ben­galen zurück­ge­kehrt waren, erläu­terte Ācārya Kesarī, warum er sie nach Süd­in­dien gebracht hatte. Er sagte: „Süd­in­dien ist als Viṣṇu-Loka oder Vaikuṇṭha-Dhāma bekannt, das Reich Śrī Viṣṇus und seiner Schätze. Meist streben die Men­schen nach Reichtum. Wir aber reisen nicht nach Viṣṇu-Loka, weil wir uns Reich­tümer erhoffen. Wo immer Śrī Cai­tanya Mahāprabhu hinkam, ver­teilte Er den höch­sten Reichtum der prema durch die Hei­ligen Namen Kṛṣṇas und der Vra­ja­vāsīs. Des­halb haben wir in der Gemein­schaft ver­trauter Gott­ge­weihten all die Orte in Süd­in­dien auf­ge­sucht, die Mahāprabhu freud­voll beschritten hatte. Wir sind dorthin gereist, um die Fuß­ab­drücke Cai­tanya Mahāprabhus zu ehren und um seine Barm­her­zig­keit zu bitten, nicht vom Pfad des Reich­tums ange­zogen zu werden.“ Die Pilger waren froh über diese tiefe Lek­tion, bevor sie nach Hause zurückkehrten.

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