In der heutigen Zeit begegnen uns des Öfteren Sanskritworte wie Veda, Guru, Karma oder Atma. Auch das Wort Sadhu ist immer häufiger zu vernehmen und hat mittlerweile sogar seinen Platz im Duden gefunden. Doch wer oder was ist eigentlich ein Sadhu?
Das Wort Sadhu stammt von der Verbwurzel sat ab, welches Reinheit oder Transzendenz bedeutet. Sadhu nennt man jemanden, der vollkommen rein ist. Ein Sadhu kann auch gleichgesetzt werden mit einem Guru, einem spiritueller Lehrer.
Kann jeder ein Sadhu oder Guru werden? Ja, jeder kann, sofern er die Eigenschaften eines Sadhus entwickelt. Es gibt viele Menschen, die einen spirituellen Pfad beschreiten, die sich an Gott wenden, sich dem Studium der Schriften, Ritualen oder der Enthaltsamkeit widmen. Die Mehrheit unter ihnen wünscht sich ein gutes Leben auf Erden, das heißt Gesundheit, Erfolg, Familie, Schönheit und Karriere, sowie ein himmlisches Leben nach dem Tod. Andere haben erkannt, dass es in dieser Welt kein echtes Glück gibt, und sie streben nach Befreiung vom materiellen Dasein. Die Ersteren, die viele materielle Wünsche hegen, nennt man karmis, weil sie Vertrauen in Karma haben, in fruchttragende fromme Tätigkeiten. Die Zweiten nennt man jnanis, denn sie kultivieren Wissen (jnana)und Loslösung. Ihr Ziel ist die Befreiung vom Samsara, dem wiederholten Kreislauf von Geburt und Tod. Wenn sich jedoch jemand weder materielle Vorteile noch Befreiung wünscht und sich ausschließlich selbstlos dem hingebungsvollen Dienst Krishnas widmet, dann ist er rein, das heißt frei von allen selbstischen Wünschen. Eine solche Person besitzt die Qualifikation, Sadhu zu sein.
bhukti-mukti-siddhi-kāmī sakali aśānta
kṛṣṇa-bhakta niṣkāma ataeva śānta
Caitanya Caritamrita, Madhya-Lila 19.149Karmis wünschen sich materiellen Genuss, Jnanis Befreiung und Yogis mystische Vollkommenheit. Aufgrund ihrer vielfachen Wünsche können sie niemals friedvoll sein. Ein Geweihter Krishnas dagegen hegt keine Wünsche und ist deshalb friedvoll.
Ein solcher Sadhu hat die Kraft, durch sein persönliches Beispiel und durch seine Unterweisungen andere auf den Pfad der Hingabe zu bringen und das Herz der bedingten Seelen zu reinigen.
sādhūnāṁ sama-cittānāṁ / sutarāṁ mat-kṛtātmanām
darśanān no bhaved bandhaḥ / puṁso ’kṣṇoḥ savitur yathā
Srimad Bhagavatam 10.10.41Sobald die Sonne aufsteigt, verschwindet alle Dunkelheit. In gleicher Weise wird man von aller materiellen Bindung frei, sobald man einem Sadhu begegnet, der im Dienst des Höchsten Herrn Sri Krishnas entschlossen und hingegeben ist.
Das einzige Bestreben der Sadhus ist es, den Unwissenden und Leidenden zu helfen. Sie sind frei von Furcht, duldsam und tolerant. Nur die unglückselige Lage anderer bekümmert sie. Man kann sie mit einem Ozean der Barmherzigkeit vergleichen, para-duhkha-duhkhi krpambudhih.
janasya krsnad vimukhasya daivad adharma-silasya suduhkhitasya
anugrahayeha caranti nunam bhutani bhavyani janardanasya
Srimad Bhagavatam 3.5.3Mein lieber Herr, erhabene Seelen bereisen die Erde auf Krishnas Geheiß mit der Absicht, den gefallen Seelen, die sich von dem Höchsten Herrn abgewandt haben, Barmherzigkeit zu erweisen.
Ein Beispiel eines Sadhus ist Prahlad Maharaja. Er betete zu seinem Herrn Nrsimhadeva:
„O beste der großen Persönlichkeiten, ich fürchte mich nicht vor dem materiellen Dasein, denn wo immer ich mich aufhalte, denke ich nur an Dich. Meine einzige Sorge sind die Dummköpfe, die sich unablässig um materielle Vorteile bemühen und viele komplexe Pläne schmieden, beständiges Glück für sich und ihre Familie auf Erden zu schaffen. Sie tun mir wahrlich leid.“
Ein Sadhu versucht, alle Lebewesen aus Maya, der materiellen Illusion, zu erretten, und ihnen das höchste Wohl in Form reiner Hingabe zu schenken. Es ist üblich, dass Sadhus umherreisen und die Leute besuchen. Obwohl sie die Dinge, die ihnen dargebracht werden, nicht benötigen, nehmen sie sie gütigerweise an, um die bedingten Seelen zu segnen. Dadurch entwickeln diese Interesse an den spirituellen Themen (hari-katha), von denen die Sadhus sprechen. Solches Hari-Katha, die transzendentalen Worte der Sadhus, haben die Kraft, den Knoten der materiellen Anhaftung zu zerschneiden. Viele überzeugte Materialisten wurden durch die Gemeinschaft der Sadhus zu großen Gottgeweihten. Im Srimad Bhagavatam findet man Beispiele, wie auch mächtige Könige wie Pariksit Maharaja, der für sieben Tage das Srimad Bhagavatam von Sukadeva Gosvami hörte, von allen materiellen Bindungen befreit wurden und nach dem Tod in die spirituelle Welt zurückkehrten.
satam prasangam mama virya samvido
bhavanti hrt-karna-rasayanah kathah
taj-josanad asv apavarga-vartmani
sraddha ratir bhaktir anukramisyati
Srimad Bhagavatam 3.25.25Das Hören und Sprechen über Krishnas ruhmreiche Spiele in der Gemeinschaft reiner Gottgeweihter wirkt wie ein lebenspendendes Elixier für das Herz und für das Ohr. Durch diese Praxis wird man schnell von aller Unwissenheit befreit und Liebe zu Krishna erwacht.
Ein Sadhu ist jemand, der sadhya (das spirituelle Ziel) und sadhana (den Vorgang, dieses Ziel zu erreichen) kennt und andere auf diesem Pfad anleiten kann. Wenn man einem solchem Sadhu innerlich und äußerlich, mit Körper, Geist und Worten, nachfolgt und seinen Worten Vertrauen schenkt, nennt man dies sadhu sanga ‒ Gemeinschaft mit dem Sadhu. Durch die mächtige Wirkung solcher sadhu sanga kann man sehr leicht Liebe zum Höchsten Herrn erlangen, denn sogar der Herr selbst wird durch die Liebe Seiner reinen Geweihten erobert. Sri Krishna erklärt:
sadhavo hrdayam mahyam sadhunam hrdayam tv aham
mad-anyat te na jananti naham tebhyo manag api
Srimad Bhagavatam 9.4.68Mein Geweihter weilt immer im Meinem Herzen, und Ich weile immer im Herzen Meiner reinen Geweihten. Meine Geweihten kennen nichts außer Mir, und Ich kenne niemanden außer ihnen.