Tran­szen­den­tales Wissen

Am Morgen des Gaura-Pūrṇimā-Tages rasierte sich Śrīla Guru­deva als Symbol der Hin­gabe zum Dienst Śrī Kṛṣṇas und der Ent­sa­gung der kör­per­li­chen Lebens­auf­fas­sung Bart und Haare ab und emp­fing dann Ein­wei­hung von Śrīla Bhak­ti­pra­j­ñāna Keśava Gos­vāmī Mahārāja. Nachdem er die dīkṣā-mantras erhalten hatte, fragte Śrīla Guru­deva Ācārya Kesarī: „Was ist die Bedeu­tung der dīkṣā-Ein­wei­hung in der Gauḍīya-Sampradāya? Wie soll ich über die dīkṣā-man­tras meditieren?“

Ācārya Kesarī erklärte: „Die dīkṣā-Man­tras sind nicht etwas Gewöhn­li­ches. Sie sind auch nicht dazu bestimmt, in ver­gäng­li­chen Ange­le­gen­heiten zu helfen. Sie sind eine Medizin,  die uns auf ewig aus dem mate­ri­ellen Gebun­den­sein befreit. Vom Moment der dīkṣā- Ein­wei­hung an über­nimmt der spi­ri­tu­elle Mei­ster Ver­ant­wor­tung für den spi­ri­tu­ellen Fort­schritt seines Schü­lers. Er zer­stört dessen Unwis­sen­heit, die Wurzel der Sünde, indem er ihm Wissen über seine spi­ri­tu­elle Natur ver­mit­telt. Im Bhakti-Sandarbha heißt es, dass divya-jñāna das tran­szen­den­tale Wissen in einem Mantra ist, wel­ches die Form und Iden­tität des Höch­sten Herrn, wie auch das Wissen über die eigene Iden­tität und die Bezie­hung zu Ihm, offenbart.

Um ein Haus zu errichten, ist Bau­ma­te­rial wie Sand, Zement und Ziegel nötig, jedoch auch Wasser. Ohne Zugabe von Wasser würde die Kon­struk­tion nicht zusam­men­halten, der Wind würde den Sand und den Zement abtragen. So wie Wasser das Bau­ma­te­rial bindet, ist rasa oder reine Liebe der Mörtel, der die ewige spi­ri­tu­elle Iden­tität der Seele formt. Kṛṣṇa ver­kör­pert reines Bewusst­sein, Bala­deva ist der Grund­stein allen Raums und allen Seins und Śrī­matī Rād­hārāṇī ist der Ursprung aller tran­szen­den­talen Glücks. Ohne rasa jedoch, die Gefühle der lie­benden Hin­gabe, kann die Seele ihre Bezie­hung zu Kṛṣṇa nicht ent­wickeln, obwohl Kṛṣṇa im Herzen aller Lebe­wesen als Über­seele weilt. Rasa wächst im Herzen durch auf­rich­tige Medi­ta­tion über die dīkṣā-Man­tras.

Diene unter Śrī Gurus Füh­rung im Geist der vor­herr­schenden Gott­heit jedes Man­tras, wenn du über die Silben des Man­tras medi­tierst. Śrī Guru ist im Mantra anwe­send. Wenn du daher wäh­rend des Chan­tens Śrī Guru ver­nach­läs­sigst, wirst du seine und auch deine eigene spi­ri­tu­elle Form nicht ver­wirk­li­chen können. Sich an Śrī Guru zu erin­nern und bei seinen Lotosfüßen Zuflucht zu suchen, ver­bindet den Schüler mit der spi­ri­tu­ellen Ener­gie­quelle. So ver­liert er die Wün­sche nach mate­ri­ellem Reichtum und nach Sinnenbefriedigung.“

Ācārya Kesarī schloss mit den Worten: „Śrī Gurus Freude ist Kṛṣṇas Freude, und sich ihm zu ergeben, bedeutet, sich Kṛṣṇa zu ergeben. Die reine Liebe im Herzen des Gurus ist aus­schließ­lich für Kṛṣṇa reser­viert. Sobald Śrī Guru mit dem Schüler zufrieden ist, wird er ihn mit Kṛṣṇa ver­binden. Zu dieser Zeit wird sich der Strom reiner Liebe im Herzen des Gurus im Herzen seines auf­rich­tigen Schüler wie­der­spie­geln und sein Wesen wird süßer als Nektar werden.“

Jeder brah­macārī, der in der Gauḍīya-Vedānta-Samiti diente, erhielt die brāh­maṇa-Ein­wei­hung. Kasten-brāh­maṇas for­dern, dass nur der Sohn eines brāh­maṇas die Hei­lige Schnur emp­fangen darf. Hier jedoch sah Śrīla Guru­deva, dass Ācārya Kesarī groß­herzig die Hei­lige Schnur an Per­sonen aller Kasten ver­lieh, vor­aus­ge­setzt, dass sie Begierde zeigten und den Prin­zi­pien spi­ri­tu­ellen Lebens folgten. Śrīla Guru­deva war froh, zu sehen, dass auf­rich­tigen Anwär­tern die Gele­gen­heit gegeben wurde, ihr schlum­merndes spi­ri­tu­elles Bewusst­sein wie­der­zu­er­wecken. Er fragte Ācārya­deva, welche Eigen­schaft ein echter brāh­maṇa besitzen sollte.

Ein echter brāh­maṇa wird nicht wegen seiner Geburt in einer brāh­maṇa-Familie als sol­cher aner­kannt“, ant­wor­tete Ācārya Kesarī. „Das wich­tigste Kri­te­rium ist seine Natur. Durch Gemein­schaft mit sādhus werden die Natur und die Nei­gung eines Men­schen erhoben. Den Veden gemäß kann ein Mensch dreimal in seinem Leben geboren werden. Die erste Geburt ist die des wei­nenden Babys, das als śūdra aus dem Leib seiner Mutter geboren wird. ‚Śūdra‘ bedeutet: jemand, der klagt. Die zweite Geburt erfährt ein Junge, der bei einer Feu­er­ze­re­monie die Hei­lige Schnur emp­fängt. Er gilt als zwei­mal­ge­boren und damit qua­li­fi­ziert, die Vedi­schen Schriften zu stu­dieren. Und die dritte Geburt besteht darin, spi­ri­tu­elle Ein­wei­hung in die gāyatrī-Man­tras vom echten Guru zu erhalten. Der echte spi­ri­tu­elle Mei­ster besitzt eine per­sön­liche Bezie­hung zu den Man­tras und ist seiner ver­eh­rens­werten Gott­heit ergeben. Er wird nie­manden in die Man­tras ein­weihen, der nicht qua­li­fi­ziert ist, son­dern lieber warten, bis der der Anwärter begierig wird, der Gott­heit des Man­tras zu dienen und sich Ihr zu ergeben.

Ein echter brāh­maṇa besitzt eine Bezie­hung zu Para­b­rahma, der Höch­sten Person. Indem man die dīkṣā Man­tras von einem spi­ri­tu­ellen Mei­ster emp­fängt, kann man eine solche Bezie­hung ent­wickeln und ein brāh­maṇa werden, selbst wenn man zuvor nicht die Eig­nung dafür besessen hat. Im Hari-Bhakti-Vilāsa (2.12) heißt es: „Wie Glocken­me­tall durch einen beson­deren alchi­mi­sti­schen Vor­gang in Gold umge­wan­delt wird, so kann ein Mensch durch den Pro­zess der vaiṣṇava-dīkṣā spi­ri­tuell geboren werden.“

Ācārya Kesarī schloss: „Bei der dīkṣā-Ein­wei­hung in der Gauḍīya-Sampradāya weist der Guru seinen Schüler an, Kṛṣṇa unter der Füh­rung Śrī­matī Rād­hikās und Ihrer Dienst­mäd­chen zu dienen. Du kannst Kṛṣṇa nicht ohne die Gnade Śrī­matī Rād­hārāṇīs ver­stehen oder Ihm dienen. Solange du nicht mit Ihrer gött­li­chen Energie ver­bunden bist, kannst du nie von dem Leid frei werden, das das Abwenden von Kṛṣṇa her­vor­ge­rufen hat. Um mit Kṛṣṇa in eine Ver­bin­dung zu treten, musst du zuerst mit Seiner Gött­li­chen Energie, Śrī­matī Rād­hārāṇī, ver­bunden sein. Śrī Guru ist in der tran­szen­den­talen Welt Ihr geliebter Diener und in dieser Welt Ihr Bot­schafter, der die auf­rich­tigen Gott­ge­weihten mit ihr ver­bindet, indem er ihre Herzen läu­tert und sie Ihrem Dienst weiht.“

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