Srīla Gurudevas Beziehung zu seinem geliebten spirituellen Meister glich der zuneigungsvollen Beziehung eines Sohnes zu seinem Vater. Auf Ācārya Kesarīs Anweisung blieb er in der Keśavajī Gauḍīya Maṭha, verehrte die Bildgestalten, chantete die Heiligen Namen, übersetzte und verbreitete die Bewegung Caitanya Mahāprabhus. In den späten fünfziger Jahren übersetzte Śrīla Gurudeva die Bücher Vaiṣṇava-Siddhānta-Mālā und Bhakti-Tattva-Viveka von Bhaktivinoda Ṭhākura, sowie Mahāprabhus Śikṣāstakam mit den Kommentaren der Ācāryas. Sie wurden kapitelweise in der Bhāgavata Patrikā veröffentlicht. Die Beliebtheit dieser monatlich erscheinenden Zeitschrift wuchs und oft schrieben Leser an Śrīla Gurudeva, um ihre Fragen zu klären.
Im späten Frühjahr 1957 erhielt Śrīla Gurudeva einen Leserbrief mit einer Frage über Brahman, Paramātmā und Bhagavān. Gurudeva schrieb einen Artikel als Antwort, in dem er diese drei Aspekte Gottes tiefer analysierte. Śrīla Gurudeva veröffentlichte diese Antwort in der Mai-Ausgabe der Patrikā im gleichen Jahr:
Die ursprüngliche Ursache alles bewussten und unbewussten Existierenden und der einzige höchste Gegenstand jeder Verehrung wird in den Veden als die Eine Absolute Wahrheit (advaya-jñāna-para-tattva) bezeichnet. Die Lebewesen und Bhagavān sind zum einen verschieden, zum anderen aber auch nicht verschieden voneinander. Beides ist gleichzeitig wahr. Die Lebewesen und das materielle Universum wurden durch die Kraft Bhagavāns erschaffen.
Die Lebewesen, die sich aus einem unreinen Zustand zu einem reinen erheben, sind ihrer Stufe des Fortschritts entsprechend unterschiedlich qualifiziert. Je nach ihrer Qualifikation nehmen sie die Eine Höchste Wahrheit unterschiedlich wahr. Die vielen Arten von Qualifikation der Lebewesen lassen sich in drei Hauptkategorien einteilen: jñāna, yoga und bhakti.
Diejenigen, die dem jñāna-Pfad folgen, nehmen die Absolute Wahrheit als Brahman wahr, als unpersönliche Transzendenz. Diejenigen, die für Yoga qualifiziert sind, erkennen die Absolute Wahrheit als Paramātmā, als die Überseele allen Seins. Und diejenigen, die bhakti ausüben, verwirklichen die Absolute Wahrheit als Bhagavān, als die Höchste Person, die alle Füllen und Reichtümer besitzt.
Die folgenden zwei Beispiele mögen dies mehr veranschaulichen: Man kann die Himalaya-Berge aus großer Entfernung, aus geringer Entfernung oder aus nächster Nähe betrachten. Diejenigen, die auf die Himalayas aus der Ferne schauen, nehmen nur einen dunklen Schatten ohne spezifischen Eigenschaften und Merkmale wahr, diejenigen, die die Berge aus geringer Entfernung sehen, können Konturen und Aspekte erkennen, und wer die Berge direkt betritt, wird verwirklichen, dass sie voller Vielfalt sind.
In ähnlicher Weise nimmt jemand, der auf das advaya-jñāna-tattva aus der Ferne schaut, es als das Brahman war. Brahma-darśana bedeutet, die Ausstrahlung der Körperglieder des Höchsten Herrn, Śrī Kṛṣṇa, zu sehen. Das Brahman ist keine Substanz, es ist vielmehr eine Eigenschaft Śrī Kṛṣṇas. Weil brahma-tattva selbst keine Eigenschaften besitzt, hat es auch keine Funktion. Es ist nur der Gegenstand der Betrachtung der brahmavādī-jñānīs. Diejenigen, die der Wahrheit näherkommen, sehen Gott als eine daumengroße Persönlichkeit in ihrem Herzen: als Paramātmā, die Überseele, die im Herzen eines jeden als Zeuge weilt. Paramātmā gewährt den Lebewesen die Früchte ihres Tuns. Und jene schließlich, die eine sehr nahe Beziehung zur gleichen Höchsten Wahrheit besitzen, sehen sie als die Höchste Person, die Namen, Form, Eigenschaften und Gefährten besitzt und ewig transzendentale freudvolle Spiele vollführt. Dies ist die vollständige und höchste Sicht des Absoluten. Śrī Kṛṣṇa ist die ursprüngliche Ursache aller Ursachen. Er ist der höchste Gegenstand aller Verehrung. Seine Energie bewegt das gesamte bewusste und unbewusste Universum.
Die Verfasser der Schriften haben diesen Sachverhalt auch anhand des Beispiels des Vaidūrya-Manis erklärt. Der Vaidūrya-Mani ist besonderer Juwel, der von verschiedenen Seiten aus gesehen, in verschiedenen Farben schillert. Genauso wird je nach der individuellen Qualifikation die eine Höchste Person unterschiedlich als Brahman, Paramātmā und Bhagavān erfahren.
Śrī Kṛṣṇa ist die Grundlage des Brahmans. Śrī Kṛṣṇas Teilaspekt als Brahman ist der Hauptgegenstand der Upaniṣaden. Einige Ṛṣis waren so in Meditation versunken, dass sie jenseits Brahmans nichts wahrnehmen konnten. Dennoch sind Śrī Kṛṣṇas transzendentale Namen, Formen, Eigenschaften, Tätigkeiten und Sein Reich von denen, die den Ursprung des Brahmans kennen, eindeutig beschrieben worden.
aspṛṣṭa-bhūri-māhātmyā
api hy upaniṣad-dṛśām
Śrīmad Bhāgavatam 10.13.54
Ihr Ruhm wurde von den jñānīs, die die Upaniṣaden studieren, nicht einmal berührt.
Diejenigen, die die Absolute Wahrheit ihrer Verwirklichung gemäß als unpersönliches Brahman ohne Eigenschaften beschreiben, besitzen nur eine entfernte Beziehung zu Gott. Wenn das Lebewesen jedoch die reinen Gefühle der Hingabe (bhakti) erlangt, wird es den unpersönlichen Aspekt der Brahman-Ausstrahlung durchbrechen und die göttliche Form Bhagavān Śrī Kṛṣṇas, des Inbilds aller Freude, entdecken. Im Nārada-Pañcarātra heißt es: „Der unvergleichliche Śyāmasundara wohnt im Inneren des Lichts ‒ jyotir-abhyantare rūpaṁ atulaṁ śyāmasundaram.“
Abschließend soll noch auf einen Punkt eingegangen werden: Die Worte Parabrahma, Purnabrahma, Parambrahma und Paramātmā werden oft in den Veden zitiert, aber nirgendwo wird man den Ausdruck Param-Bhagavān finden. Mit dem Wort „Brahma“ wird die unpersönliche Ausstrahlung beschrieben, die keine Eigenschaften beinhaltet. Die Ausdrücke Parabrahma (das Höchste Brahman) oder Purnabrahma (die Höchste Transzendenz) bezeichnen dagegen die vollständige Absolute Wahrheit, die Höchste Person, die voller transzendentaler Eigenschaften und Vielfalt ist. Die folgenden Verse belegen dies:
paraṁ brahma paraṁ dhāma
pavitraṁ paramaṁ bhavān
Bhagavad-Gita 10.12
Hier wird Kṛṣṇa als Parambrahma, als die Höchste Transzendenz, das Höchste Reich und der Höchste Reine beschrieben.
Nachdem er die Kuhhirtenknaben und Kälber gestohlen und Śrī Kṛṣṇa unbeschreibliche Füllen geschaut hatte, betete Brahmā:
aho bhāgyam aho bhāgyaṁ
nanda-gopa-vrajaukasām
yan-mitraṁ paramānandaṁ
pūrṇaṁ brahma sanātanam
Śrīmad-Bhāgavatam 10.14.32
Oh wie vom Glück begünstig sind Nanda Bābā, Yaśodā Māiyā und all die anderen gopas und gopīs in Vraja! Ihr Glück kennt keine Grenzen, denn Śrī Kṛṣṇa, das Reich der höchsten Glückseligkeit (paramananda), das ewige und vollständige Brahman, ist ihr Verwandter und Freund.
Raghupati Upādhyāya sprach in einer Unterhaltung mit Caitanya Mahāprabhu wie folgt:
śrutim apare smṛtim itare
bhāratam anye bhajantu bhava-bhītāḥ
aham iha nandaṁ vande
yasyālinde param brahma
Padyāvalī (126)
In dieser furchteinflößenden Welt von Geburt und Tod suchen manche Zuflucht bei den Śrutis, andere bei den Smṛtis und wieder andere beim Mahābhārata. Ich aber verneige mich vor König Nanda, in dessen Hof das Höchste Brahman als ein kleines Kind spielt.
Die Worte Parabrahma, Parambrahma und Purnabrahma werden somit überall dafür verwendet, auf den Höchsten Herrn, Bhagavān Śrī Kṛṣṇa, hinzuweisen.