Am 17. Februar 1968 wurde in der Devānanda Gauḍīya Maṭha mit Pomp Śrīla Bhaktiprajñāna Keśava Gosvāmī Mahārājas vyāsa-pūjā gefeiert. Etwas später im selben Jahr, nach dem Navadvīpa-Parikramā, begann Ācārya Kesarī erst Krankheitssymptome zu zeigen und ging einige Zeit später in die ewige Welt zurück. Śrī Guru und Vaiṣṇavas kommen einzig in diese Welt, um den Lebewesen zu helfen. Sie ziehen die Seelen zu sich hin, bringen sie auf den bhakti-Pfad und knüpfen eine liebevolle und dauerhafte Beziehung mit ihnen. Ihr Kommen dient keinem anderen Zweck. Bevor sie in die spirituelle Welt zurückkehren, scheinen sie oft krank zu sein. Zu dieser Zeit können diejenigen, zu denen eine solche befreite Seele eine Beziehung aufgebaut hat, ihr nahekommen; und diejenigen, die ihr nicht körperlich nahe sein können, werden sich unaufhörlich an ihren Gurudeva erinnern, ohne ein Mantra zu benötigen. In der Regel dienen nur ein oder zwei sevakas ihrem Meister, aber zur Zeit seiner Krankheit beschäftigt Śrī Guru viele in seinem Dienst, die dadurch allesamt eine Verbindung zur transzendentalen Welt herstellen. Auf viele Weise schenkt der reine Gottgeweihte vor seinem Fortgehen seinen Nachfolgern Liebe und Kraft und ermöglicht es ihnen, ihre Hingabe zu vertiefen. Śrī Guru gibt den Reichtum seines bhajanas an seine engsten Nachfolger weiter. Das Fortgehen des mahā-bhāgavata-Vaiṣṇavas ist somit in seiner spirituellen Kraft einmalig.
Śrīla Gurudeva diente Ācārya Kesarī während dieser Zeit mit liebender Fürsorge. Ācārya Kesarī brauchte Gurudeva keine letzten Anweisungen zu geben. Beide sind spirituell immer verbunden und verstehen das Herz des anderen. Der erstklassige Schüler erkennt den Wunsch seines Gurudeva, ohne dass ihm etwas gesagt werden muss, und bemüht sich mit aller Kraft, die Wünsche seines spirituellen Meisters zu erfüllen. Neulingen oder Schülern auf der mittleren Stufe müssen Anweisungen gegeben werden, doch der erstklassige Schüler erfüllt den Wunsch seines Gurudeva, ohne Anweisungen zu benötigen.
Śrīla Bhaktiprajñāna Keśava Gosvāmī Mahārāja dient ewig Rādhā-Kṛṣṇa und der Mission Mahāprabhus. Dem Willen seines Herren folgend, hilft er den bedingten Seelen, indem er die Grundlage schafft, auf der bhakti-yoga gedeihen kann. Zur Zeit Prabhupāda Sarasvatī Ṭhākuras erhielt er alle Zentren der Gauḍīya Maṭha, und danach gründete er 34 Zentren der Gauḍīya Vedānta Samiti. Wer immer ihn traf, war von seiner Charakterstärke und Hingabe angezogen. Er schenkte jedem unter seiner Obhut Eintritt in den Dienst Vrajas unter Führung Śrīmatī Rādhārāṇīs.
Am Abend des Śaradiya-Rāsa Pūrṇimā, dem ersten Tag von Kārttika am 6. Oktober 1968, war Gurudeva mit Ācārya Kesarī in der Śrī Devānanda Gauḍīya Maṭha zugegen. Kārttika hatte gerade erst begonnen und Tausende Gottgeweihten waren gekommen, um ihren Gelübden in Navadvīpa-Dhāma zu folgen. In der Abenddämmerung sagte Parama-Gurudeva, umringt von seinen vertrauten Gefährten: „Śrīmatī Rādhārāṇī ruft mich nach Vraja. Jetzt muss ich gehen. Es ist mein Wunsch, dass ihr zusammenbleibt und fest entschlossen bhajana und harināma-saṅkīrtana praktiziert.“
Auf ein Zeichen Ācārya Kesarīs hin sang Śrīla Gurudeva kīrtanas, begleitet von Śrīla Bhaktivedānta Vāmana Mahārāja und allen brahmacārīs und sannyāsīs. Mit tränenerstickter Stimme sang Gurudeva die folgenden bhajanas der früheren ācāryas: Hari-Haraye-Namah, Jaya Rādhe Jaya Kṛṣṇa, Śrī Rūpa-Mañjarī Pada und dann pañca-tattva und das mahā-mantra.
Während Śrīla Gurudeva sang, wiederholte Ācārya Kesarī laut und klar das mahā-mantra und das pañca-tattva-mantra. Ein Bild Śrīla Bhaktisiddhānta Sarasvatī Gosvāmīpādas wurde vor Ācārya Kesarī gestellt. Ergriffen von ekstatischen Gefühlen, erwies er seinem verehrungswürdigen Meister mit seinen Augen Ehrerbietungen. In Ācārya Kesarīs Zimmer drängten sich die Gottgeweihten, begierig darauf, einen letzten darśana ihres spirituellen Meisters zu erhaschen. Im Tempel brachte der pūjārī Śrī Śrī Rādhā-Vinoda Bihārī die Abend-ārati dar. Plötzlich fiel die Girlande Śrīmatī Rādhārāṇīs herab. Der pūjārī nahm die Girlande, die den Ruf Rādhārāṇīs nach Ihrem Diener signalisierte, und bekränzte damit die göttliche Form Śrīla Bhaktiprajñāna Keśava Gosvāmī Mahārājas.
In der Vollmondnacht des Herbst-Rāsa-Tanzes spielt Kṛṣṇa auf Seiner Flöte und fragt: „Wer hat reine Liebe für Mich und wünscht eine ewige Beziehung zu Mir?“ Kṛṣṇa lädt ein: „Komm, heute gibt es ein großes Fest in Vṛndāvana“. Das Leben derer, die diese Einladung annehmen, ist erfolgreich. Nur die Vrajadevīs konnten hören, wie Kṛṣṇa sie auf Seiner Flöte rief. Sie ließen sofort alles stehen und liegen und liefen los, um Kṛṣṇa zu dienen. Als Kṛṣṇa so alle Vrajadevīs einlud, wie konnte Ācārya Kesarī zögern? Alle Vrajadevīs und mañjarīs verließen ihre Häuser und Familien und liefen in den Wald.
Als ein tosender saṅkīrtana alle Richtungen mit dem Klang der Heiligen Namen erfüllte, stieg der verfinsterte Mond am Horizont Śrī Navadvīpa-Dhāmas auf. Auf das Zeichen von Kṛṣṇas Flöte und Śrīmatī Rādhārāṇīs Girlande hin verließ Ācārya Kesarī diese Welt aus eigenem Willen und trat in den ewigen rāsa-sthalī seiner verehrten Śrī Śrī Rādhā-Vinoda Bihārī ein. Mit stockenden Stimmen und tränenerfüllten Augen sangen Gurudeva und die Schüler Ācārya Kesarīs je ānila prema-dhana und mahā-mantra und brachten ihr inniges Klagen den Lotusfüßen ihres spirituellen Meisters dar.
Die Nachricht verbreitete sich sofort in Navadvīpa und darüber hinaus, und aus allen Gauḍīya Maṭhas in der Umgebung eilten Gottgeweihte herbei. Viele Vaiṣṇavas kamen von den Inseln Navadvīpas und anderen Orten Indiens. Sie verehrten Ācārya Kesarī nicht nur als ihren älteren Gottbruder, sondern auch als eine direkte Erweiterung Śrīla Prabhupādas. Der Präsident der Śrī Sārasvata Ācārya Gauḍīya Mission, Śrīla Bhaktiśrīrūpa Siddhanti Gosvāmī Mahārāja, leitete die samādhi-Zeremonie des transzendentalen Körpers Ācārya Kesarīs und Śrīla Gurudeva fungierte als sein Assistent. Ācārya Kesarī wurde auf einer Sänfte in die Tempelhalle getragen. Dort sang Gurudeva Bhajanas, begleitet von den Tausenden versammelten Vaiṣṇavas. Die transzendentale Form Ācārya Kesarīs wurde mit Sandelholzpaste, Aguru und anderen duftenden Substanzen gesalbt, mit heiligem Gaṅgāwasser gebadet und in ein neues Tuch in der Farbe der rötlichen aufgehenden Sonne gekleidet. Śrīla Gurudeva markierte die göttlichen Glieder seines spirituellen Meisters mit zwölf Tilaka-Zeichen und Śrīla Bhakti Śrīrūpa Siddhanti Mahārāja schrieb mit Sandelholzpaste das samādhi-Mantra auf seinen Körper. Śrīla Gurudeva brachte dann Śrīla Bhaktiprajñāna Keśava Gosvāmī Mahārāja arcana, pūjāna und ārati dar. Vaiṣṇava-ācāryas, sannyāsīs und brahmacārīs aus verschiedenen Tempeln kamen und erwiesen Ācārya Kesarī ihre Ehre und legten ihm Blumen zu Füßen.
In den frühen Morgenstunden, unter unaufhörlichem kīrtana, wurde Ācārya Kesarī gemäß den Ritualen der Schriften in samādhi gegeben. Am Mittag, nachdem die Zeremonien abgeschlossen waren und alle Vaiṣṇavas und ācāryas gebührend geehrt worden waren, zogen sich Śrīla Gurudeva, Śrīla Bhaktivedānta Vāmana Gosvāmī Mahārāja, Śrīla Bhaktivedānta Trivikrama Gosvāmī Mahārāja und die Tausende Schüler Ācārya Kesarīs zurück, um den unaufhaltsamen Strom der Tränen für ihren geliebten Meister zu verbergen.
Ein gewöhnlicher Sohn denkt: „Mein Vater ist gestorben, wer wird jetzt für mich sorgen?“ Es gab keinen solchen Egoismus in Śrīla Gurudevas Gefühlen der Trennung von seinem göttlichen Meister, genauso wie die Vrajadevīs nicht egoistisch waren, als sie um Kṛṣṇa weinten, nachdem dieser nach Mathurā gegangen war. Gurudeva dachte nicht: „Wer kümmert sich jetzt um mich? Wer wird mich versorgen? Wie soll die Gesellschaft fortbestehen?“ Seine Liebe in Trennung war von derselben Qualität wie die der Vrajadevīs. Die gopīs dienen Kṛṣṇa 24 Stunden am Tag, mit Körper, Geist und Worten. Wenn Kṛṣṇa nicht in ihrer Nähe ist, denken sie: „Wer dient jetzt Kṛṣṇa?“ Sie dienen ewig, aber dennoch fühlen sie: „Wer sorgt für Ihn in Mathurā? Wer wird mit Ihm reden? Niemand dort kennt sein Herz und kann Ihn richtig zufriedenstellen.“
Śrīla Gurudeva versank in tiefer Trauer. Obwohl Gurudeva ewiglich mit Ācārya Kesarī zusammen ist und dem Göttlichen Paar dient, kommt er in die materiellen Welt und handelt als idealer Schüler und ācārya ‒ beide Realitäten existieren gleichzeitig. Śrīla Gurudeva, Śrīla Vāmana Gosvāmī Mahārāja und Śrīla Trivikrama Gosvāmī Mahārāja vergaßen alles. Während der samādhi-Zeremonie beherrschten die Vaiṣṇavas ihre Gefühle und weinten nicht. Nach der samādhi-Zeremonie aber schlossen sich Hunderte Gottgeweihte in ihre Zimmer ein und weinten ungehemmt. Der ganze Tag verging so. Die Vaiṣṇavas fühlten sich, als hätten sie den Reichtum ihres Lebens verloren. Solange Śrīla Bhaktiprajñāna Keśava Gosvāmī Mahārāja gegenwärtig war, kannte niemand so etwas wie Angst. Er war Ācārya Kesarī, der Löwe unter den ācāryas. Solange die guru-varga anwesend sind, können māyā und Kali keine Störung verursachen. Für gewöhnlich verstehen die Leute dies nicht, doch sobald ein mahā-bhāgavata-ācārya fortgeht, stürzt die Welt in Dunkelheit.
Keiner der Vaiṣṇavas verspürte den Wunsch, prasāda zu sich zu nehmen. Der Tag und die Nacht verstrichen ohne Essen und Trinken. Nur für die Bildgestalten wurde eine kleine Menge bhoga gekocht. Am nächsten Tag wurde mahā-prasāda an Tausende verteilt, aber Śrīla Vāmana Gosvāmī Mahārāja, Śrīla Gurudeva und Śrīla Trivikrama Gosvāmī Mahārāja fuhren fort, zu fasten. Die Vaiṣṇavas baten sie wiederholt, mahā-prasāda zu akzeptieren, um ihr Leben für den Dienst zu erhalten. Schließlich stimmten sie zu und nahmen am Abend des zweiten Tages eine klein wenig prasāda zu sich.
Śrīla Gurudeva dachte: „Mein geliebter Meister ist nach Vraja aufgebrochen und dient dort Śrī Śrī Rādhā-Vinoda Bihārī. Er hat mir barmherzigerweise hier Verantwortung übertragen. Wenn ich qualifiziert bin, werde ich ihn dort treffen.“