Neben dem Aufenthalt und dem Predigen in Mathurā und Nordindien reiste Śrīla Gurudeva auch durch die Dschungel und Dörfer Bengalens. Ācārya Kesarī hatte seine Schüler angewiesen: „Nicht zu predigen, ist respektlos gegenüber der guru-varga und Bhaktidevī“. Er hatte einen Vers aus dem Caitanya-Caritāmṛta (Antya 4.102–3) zitiert:
apane acare keha, na kare pracara
pracara karena keha, na karena ācāra
‘ācāra’, ‘pracara’ – namera karaha dui kārya
tumi sarva-guru, tumi jagatera āryaŚrīla Sanātana Sanātana Gosvāmī sprach zu Śrīla Haridāsa Ṭhākura: „Einige praktizieren nāma-bhajana, predigen aber nicht über den Ruhm śrī harināmas; andere predigen, aber praktizieren nicht. Du jedoch erfüllst beides, du bist das ideale Vorbild beim Predigen wie auch beim Praktizieren. Weil du praktizierst, was du predigst, bist du der Guru eines jeden und die größte Persönlichkeit.“
Śrīla Gurudeva unternahm oft Predigtreisen mit Śrīla Vāmana Gosvāmī Mahārāja und Śrīla Trivikrama Gosvāmī Mahārāja. Diese drei Säulen der Vedānta Samīti pflegten zusammen auf der Bühne zu sitzen und zu einer Menge von mehreren tausend Menschen zu sprechen. Śrīla Gurudeva sprach für gewöhnlich zuerst und brachte ein kontroverses Thema zur Sprache oder stellte eine apa-sampradāya (eine Abweichung von der ursprünglichen Tradition) in Frage. Er sprach mit den Menschen in vertrautem Ton, wie ein Dorfältester, der seine Angehörigen berät. Die Leute diskutierten dann über das, was sie gehört hatten, und anschließend hielt Śrīla Trivikrama Gosvāmī Mahārāja eine kraftvolle Rede, in der er die falschen Konzepte widerlegte. Schließlich präsentierte Śrīla Vāmana Gosvāmī Gosvāmī Mahārāja eine angenehme Lösung und Schlussfolgerung, die die Gemüter beruhigte und den Leuten half, die Wahrheit zu verstehen.
Śrīla Gurudeva, Śrīla Vāmana Gosvāmī Mahārāja und Śrīla Trivikrama Gosvāmī Mahārāja waren als drei Brüder bekannt, und als die drei Säulen der Gauḍīya Vedānta Samīti. In einer Stimmung des Mitgefühls reisten sie und baten jeden: „Bruder, bitte folge Ekādaśī. Chante ein wenig hari-mālā. Verschwende keine Zeit. Höre bhāgavata-kathā. Komm zu sat-saṅga.“
Manchmal predigten diese drei standhaften Ācāryas zusammen und manchmal in verschiedenen Gegenden. Śrīla Gurudeva fuhr in die armen Dörfer Bengalens und lud die Leute nach Navadvīpa-Dhāma ein. Die Dorfbewohner, die konnten, gaben fünf Rupien aus, um nach Navadvīpa zu kommen und ein wenig Reis für Mahāprabhu zu spenden. In jenen Tagen war das Leben hart. In einigen Dörfern waren die Menschen so arm, dass sie nicht einmal Schuhe oder richtige Kleidung besaßen, aber sie hatten Respekt vor Bhagavān und seinen Geweihten.
Śrīla Gurudeva verwendete Geld, das er in wohlhabenderen Gegenden gesammelt hatte, um für die Ärmsten Zugfahrkarten nach Navadvīpa zu kaufen. Er ermutigte sie: „Versucht, irgendwie zum parikramā zu kommen.“ Auch wenn sie keine Festivalgebühren zahlen konnten, verwehrte Gurudeva ihnen nicht Unterkunft und Verpflegung. Gurudeva unterschied nicht zwischen arm und reich. Er kam nur, um Liebe zu Gott zu verteilen, nicht, um Geld zu verdienen. Er sah das Herz und die Seele der Menschen, nicht ihr Äußeres, ihr Geschlecht oder ihre Kaste. Wie sein spiritueller Meister besaß er ein offenes Herz für alle.
Einmal kam Gurudeva nach Lakṣmī-Janārdana-Pura in den Sundarbans, nahe dem Golf von Bengalen. Dort hielt Śrīla Gurudeva ein dreitägiges Programm auf dem Gelände einer großen Schule ab. Viele Dorfbewohner kamen, einige auch aus weiter Entfernung. Die Bewohner dieser Gegend fühlten sich zum Hören und Singen hingezogen und sie wussten, dass die sādhus kostenlos mahā-prasāda verteilen. Sie wussten, dass das prasāda und der caraṇāmṛta der Vaiṣṇavas sehr hilfreich sind.
Als Śrīla Gurudeva in Lakṣmī-Janardana-Pura predigte, traf er einen neunjährigen Jungen namens Susanta. Etliche Leute aus seinem Dorf waren zu dem Programm gekommen. Bei der Begegnung fragte Gurudeva ihn: „Was machst du gerade?“
„Ich gehe zur Schule“, antwortete Susanta.
„Wirst du mit mir nach Navadvīpa kommen?“
„Ja.“
„Wie kommst du?“
„Irgendwie schaffe ich es.“
Zwei Jahre später lief Susanta von zu Hause fort und traf Śrīla Gurudeva in der Devānanda Gauḍīya Maṭha. Er war sehr mager und von dunklem Teint. Als er einen so großen Tempel voller sādhus sah, die gute Kleidung trugen und gut aßen, dachte er: „Die leben hier luxuriös. Das ist nicht vorteilhaft für bhajana. Ich werde nach Vṛndāvana fahren und dort bhajana praktizieren.“ Er nahm einen Zug von Navadvīpa nach Gayā, von Gayā nach Kāśī, dann von Vārāṇasī nach Allahābāda und von dort nach Vṛndāvana.
Am Kiul-Bahnhof in Lakhisarai in Bihar erwischte ihn der Schaffner, wie er ohne Fahrschein reiste, und sperrte ihn für drei Monate in ein Gefängnis. Im Gefängnis ließen sie ihn schwer arbeiten und gaben ihm nur zwei Chapattis pro Tag zu essen. Es gab viele Moskitos, und die Wärter stellten nur einen Topf Wasser zum Baden, Trinken und für alle anderen Bedürfnisse bereit. Die Zellen waren überfüllt mit Inhaftierten, und jeder, der sich schlecht benahm, wurde heftig geschlagen.
Nach drei Monaten wurde Susanta aus dem Gefängnis entlassen und kehrte irgendwie zu Navadvīpa zurück. Als er ihn sah, sagte Śrīla Gurudeva: „Oh, du bist zurückgekommen!“ Er hatte hohes Fieber, Ruhr und Windpocken. Er war dem Tod nahe; es schien, als sei sein ganzer Körper verfault. Śrīla Gurudeva richtete ihm einen Platz auf seiner Veranda her. Zu jener Zeit gab es noch nicht viele Räume. Auf Śrīla Gurudevas Anweisung pflegten die brahmacārīs Susanta abwechseld, jeder für zwei Stunden. 24 Stunden am Tag war jemand bei ihm. Nachts saß Gurudeva bei ihm und wischte ihm den Kopf mit einem feuchten Tuch ab, um das Fieber zu kühlen und ihn zu erfrischen. Gurudeva kümmerte sich fortlaufend um Susanta und sein Fieber ließ nach anderthalb Monaten nach. Nur noch Haut und Knochen, wurde er durch Śrīla Gurudevas Fürsorge und Zuneigung gerettet.
Susanta erhielt später Einweihung von Śrīla Vāmana Gosvāmī Mahārāja und hieß fortan Śubhānanda Brahmacārī.