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rīla Guru­deva wuchs in einer Groß­fa­milie auf. Zu den zahl­rei­chen Ver­wandten gehörten Fami­lien von zwei Onkeln väter­li­cher­seits, Nan­dalāla und Kamalākānta, die Familie der Cou­sine Śyā­malāla Tiwārī, seine Groß­el­tern, Dhy­āna­candra Tiwārī und Dulāri-devī, Groß­onkel Gora­kanātha und viele Cou­sins. Sie alle lebten fried­lich zusammen auf einem großen Anwesen, dass aus ein­fa­chen Zim­mern mit Lehm­wänden und stroh­ge­deckten Dächern bestand. Mit der Zeit hatten Paṇḍita Bāleś­va­ranātha und Lakṣmī-devī sechs wei­tere Kinder bekommen, zwei Jungen und vier Mäd­chen. Śrīla Gurudeva’s Brüder hießen Viś­vanātha and Sid­dhanātha und seine vier Schwe­ster Motirānī, Saras­vatī, Phula­keśarī und Anapi.

Śrīla Guru­devas Mutter Lakṣmī­devī, eine ener­gi­sche Matri­ar­chin, küm­merte sich auf­op­fe­rungs­voll um die Groß­fa­milie. Neben ihrem anderen viel­fa­chen reli­giösen Enga­ge­ment war sie auch eine begei­sterte kīr­tana-Sän­gerin. Sie brachte Śrīla Guru­deva schon früh­zeitig das Singen bei, und so wurde seine natür­liche Bega­bung und Vor­liebe für kīr­tana geför­dert. Śrīla Guru­devas Vater war einer­seits ein Schrift­ge­lehrter und ande­rer­seits ein kraft­voller Ringer und begna­deter Sportler. Seine Gelehr­sam­keit hatte er von seinem Vater Dhy­āna­candra und seine Stärke von seinem Onkel Gora­kanātha geerbt.

Die Tiwārīs besaßen nahezu vierzig Hektar Acker­land. Sie ern­teten üppig Gemüse, Früchte, Reis, Gerste, Bohnen und Senf­samen. Die Zeit von Śrīla Guru­devas Vater war aus­ge­füllt mit Feld­ar­beit, dem Dre­schen des Getreides und anderen Ver­pflich­tungen, die der Hof mit sich brachte, und am Abend lei­tete er die spi­ri­tu­ellen Pro­gramme in seinem Haus. Paṇḍita Tiwārī trank täg­lich sieben Liter Milch, um sich die Kraft und die Energie für sein arbeits­rei­ches Leben zu bewahren. Śrīla Guru­deva über­nahm den Arbeits­eifer seines Vaters, er half ihm auf dem Feld, pflegte die Saat und pflanzte Jack­frucht­bäume, Jamun­bäume und Bambus.

Guru­devas Groß­vater Gora­kanātha galt in ganz Bihar als unschlag­barer Ringer. Er war so kräftig, dass er bei hef­tigen Stier­kämpfen dazwi­schen­gehen und einen Stier zu Boden ringen konnte. Zwei Kilo­meter von Tiwārī­pura ent­fernt lag das Dorf Kul­ha­diya, in dem viele Büffel gehalten wurden. Weil die Tiwārīs gute Bezie­hungen zu den Yādavas aus Kul­ha­diya pflegten, besuchte Gora­kanātha gele­gent­lich das Dorf. In Kul­ha­diya gab es einen wilden, für seine unge­wöhn­liche Größe und Aggres­si­vität gefürchten Büffel, und Gora­kanātha hatte sich vor­ge­nommen, diesen wilden Büffel zu zähmen. Mit einer Büf­felkuh, die gedeckt werden sollte, im Schlepptau, machte er sich eines Tages auf den Weg nach Kulhadiya.

Als die Dorf­be­wohner von seiner Absicht erfuhren, warnten sie ihn: „Nein, Nein, Herr Tiwārījī, sie machen einen Fehler! Dieser Büffel ist eine wilde Bestie. Wenn er zornig wird, ent­kommt ihm nie­mand. Und sobald er eine Kuh bei sich hat, lässt er sie nicht wieder los!“

Keine Sorge“, lachte Gora­kanātha. „Bleibt ruhig und schaut zu.“

Er ließ das Büf­fel­weib­chen auf die offene Weide und kam einige Stunden später zurück, um es abzu­holen. Als er kam, beschwörten ihn die Leute: „Sie ver­stehen nicht, Herr Tiwārījī! Wenn sie ver­su­chen, sie zu trennen, wird er sie töten!“ Gora­kanātha schenkte den besorgten Worten keine Beach­tung und begab sich festen Schritts auf das Feld. Wäh­rend­dessen sam­melte sich eine Men­schen­menge am Feld­rand, um aus sicherer Ent­fer­nung zuzu­schauen. Sobald der wilde Büffel ihn bemerkte, begann er zu schnauben und mit den Hufen zu scharren. Gora­kanātha ging jedoch ohne Zögern weiter. Das Tier brüllte und ging mit gesenktem Haupt zum Angriff über. Als es ihn erreichte, schwang es den Kopf, um ihn auf­zu­spießen, aber Gora­kanātha ergriff seine Hörner. Mit einem Brüllen und einem kräf­tigen Schieben drückte er den Kopf des Tieres langsam zu Boden und presste seine Schnauze in den Dreck. Wieder und wieder ver­suchte der Büffel, Gora­kanātha auf­zu­spießen, aber er war machtlos gegen­über seiner über­le­genden Stärke. Schließ­lich ließ Gora­kanātha ihn los und schlug ihm mit einem Eisen­stab, den er an seinem Gürtel trug, auf den Kopf. Zum ersten Mal in seinem Leben besiegt, drehte sich der Büffel um und trot­tete gesenkten Hauptes und ohne einen wei­teren Blick auf seinen Gegner davon.

Zurück zu Hause berich­tete Gora­kanātha stolz von seiner Tat. Seinem Groß­neffen Śrīman Nārāyaṇa, dem er sehr zugetan war, riet er: „Ver­suche, so stark zu werden wie ich. Dann wird dich nie­mand auf der Welt her­aus­for­dern können.“

Śrīla Guru­deva ant­wor­tete höf­lich: „Löwen und Ele­fanten sind auch sehr stark. Sie herr­schen über die anderen Tiere. Aber erfreut das Bha­gāvan? Am stärk­sten ist der­je­nige, der los­ge­löst ist, seine Sinne beherrscht und seinen Körper und Geist in Bha­gā­vans Dienst stellt. Jemand, der große Kör­per­kraft besitzt, wird meist arro­gant und hängt an seinem Körper. Rāvaṇa war auch stark, aber Rāma tötete ihn. Wenn jemand jedoch stark in Hin­gabe zu Bha­gāvan ist, wird sich die Welt ewig an ihn erinnern.“

Als Śrīla Guru­devas Familie diese Worte hörte, überkam sie eine Ahnung, dass er eines Tages ein sādhu werden und seine Familie ver­lassen würde. Gora­kanātha jedoch emp­fand noch mehr Zunei­gung zu seinen Groß­neffen und auch sein Inter­esse, Gott zu dienen, nahm zu. Jahre später kam er oft zu Śrīla Guru­deva und fragte um Rat, wie er spi­ri­tu­ellen Fort­schritt machen konnte.

Die Mehr­zahl der Ein­wohner Tiwārī­puras konnte lesen und schreiben und war mit den Vedi­schen Schriften ver­traut. Die Leute lebten ein­fach und rein. Sie mieden unreine Nah­rungs­mittel wie Fleisch, Fisch, Eier, Zwiebel, Knob­lauch und Rausch­mittel und führten tra­di­tio­nell hin­ge­bungs­volle Tätig­keiten aus, wie über Gottes Herr­lich­keit zu hören und Seine Hei­ligen Namen zu chanten.

Eines Tages, irgend­wann nach seinem achten Geburtstag, fragte Śrīla Guru­deva seinen Vater: „Jeden Morgen stehst du zeitig auf und dienst den Bild­ge­stalten. Die Dorf­be­wohner kommen und bringen Geschenke und danach sprichst du hari-kathā. Bitte erkläre mir, warum du das tust. Warum kommen die Leute und bitten um deine Seg­nungen? Was ist das Ergebnis dieser Tätigkeiten?“

Mein Kind“, ant­wor­tete Paṇḍi­tajī, „durch die Ver­eh­rung Bha­gā­vans erhalten die Men­schen Seine Seg­nungen und werden in ihrem Tun erfolg­reich. Die Bauern ernten reich­lich Getreide, Früchte und Gemüse. Die Arbeit der Men­schen wird gedeihen, ihre Fami­li­en­an­ge­hö­rigen bleiben gesund und von Schwie­rig­keiten verschont.“

Aber wie nützt das der Seele?“ fragte Śrīla Gurudeva.

Hör, mein Sohn“, sagte Paṇḍi­tajī, „das Leben in dieser Welt ist hart. Die Men­schen hoffen, durch die Ver­eh­rung von Gott gesund und glück­lich zu bleiben. Sie befolgen dharma, um mate­riell wohl­ha­bend zu werden, sich ihre Wün­sche zu erfüllen oder aus dem Kreis­lauf von Geburt und Tod befreit zu werden.“

Wenn die Leute Bha­gāvan ver­ehren, um sich ihre eigenen Wün­sche zu erfüllen“, fragte Guru­deva, „ver­su­chen sie dann nicht, Ihn zu ihrem Diener zu machen? Sie ver­ehren Ihn, damit Er sie ernährt und ihre Fami­lien beschützt, und stellen gleich­zeitig ihre Hin­gabe zur Schau, um Ansehen zu erlangen. Für wessen Freude ver­ehren sie eigentlich?“

Das ist eine kri­ti­sche Frage“, ent­geg­nete Paṇḍi­tajī. „Wenn du älter bist, wirst du das ver­stehen. Zer­brich dir jetzt nicht den Kopf darüber.“

Vater“, drängte Śrīla Guru­deva weiter, „ich höre dein hari-kathā dem aus Rāmāyaṇa, der Bhagavad-Gītā und dem Bhā­gavatam. Du sprichst davon, dass wir alle gemäß unserem ver­gan­genen karma geboren wurden. Du erklärst auch, dass die wahre Pflicht des Men­schen darin besteht, Bha­gāvan mit Hin­gabe zu dienen, denn nur durch sol­chen Dienst kann man Erfül­lung finden. Sind dies Rat­schläge für den Körper oder für die Seele? Wie können wir eine Bezie­hung zu Bha­gāvan auf­bauen und das trü­ge­ri­sche mate­ri­elle Leben hinter uns lassen?“

Du kannst das unseren Fami­li­en­guru fragen, wenn er kommt. Jetzt geh spielen.“

Der Fami­li­en­guru, Paṇḍita Miśra, war in der Gegend hoch­ge­achtet. Wenn er mit seiner wohl­klin­genden Stimmte weise Erläu­te­rungen zum Śrīmad-Bhāgavatam gab, kamen viele, um ihm zuzu­hören. Als er nach ein paar Tagen zu Besuch kam, erwies ihm Paṇḍita Bāleś­va­ranātha gebüh­rende Ehre und erzählte ihm davon, dass sein Sohn Nārāyaṇa schon auf ihn gewartet habe: „Er ist sehr wiss­be­gierig und argu­men­tiert gerne. Seine Neu­gier hat kein Ende.“

Lass uns sein Horo­skop betrachten“, schlug Paṇḍita Miśra vor. Nachdem er es begut­achtet hatte, kam er zu fol­gendem Schluss: „Dein Sohn ist ein ernst­hafter Junge. Er besitzt tiefe Hin­gabe und kein großes Inter­esse am welt­li­chen Leben. Auch die­je­nigen, die Umgang mit ihm pflegen, werden ähn­lich los­ge­löst und ent­sagt werden. Er wird Bha­gāvan und Bha­ga­vāns Geweihten dienen und zudem die mate­ria­li­sti­sche Natur derer in seiner Nähe ändern. Ihr Hang zum mate­ri­ellen Leben wird nach­lassen und sie werden sich dem Dienst Gottes zuwenden.“

Diese Worte erfreuten die Familie Tiwārī, aber sie beun­ru­higten sie auch. Obwohl sie froh waren, dass Śrīman Nārāyaṇa ein großer Gott­ge­weihter war, wünschten sie sich nichts­de­sto­trotz, dass er ein pflicht­be­wusster Fami­li­en­vater werden würde, der sich um Haus und Hof küm­merte. In der Hoff­nung, seine zukünf­tige Los­lö­sung von der Familie ver­hin­dern zu können, spen­deten sie mehr als gewöhn­lich für wohl­tä­tige Zwecke. Sie chan­teten vedi­sche Man­tras, um Gott ver­söhn­lich zu stimmen und beteten zu Ihm, dass er das Herz ihres Jungen wan­deln möge. Als ihre Bemü­hungen jedoch keinen Erfolg zu zei­tigen schienen, berei­teten sie eine vedi­sche Frie­dens­ze­re­monie vor, das śānti-yajña.

Zu diesem Feu­er­opfer waren etliche hoch­ran­gige brāh­maṇas, Vaiṣṇavas und sādhus ein­ge­laden. Unter den Gästen befand sich auch ein ent­sagter und gebil­deter Vaiṣṇava-brāh­maṇa aus Vārāṇasī, der die hei­ligen Orte in und um Tiwārī­pura besuchte. Śrīman Dhy­āna­candra and Paṇḍita Bāleś­va­ranātha wuschen ihren Gästen die Füße und sorgten für ihr Wohl. Auch Śrīla Guru­deva diente den sādhus respekt­voll, indem er ihnen Essen ser­vierte, ihre Klei­dung wusch und ihre Füße massierte.

Als die Feu­er­ze­re­monie begann, rief Paṇḍi­tajī seinen Sohn: „Nārāyaṇa, setz dich und bring Ghee- und Getrei­de­gaben im Opfer­feuer dar.“

Zuerst würde ich gerne den Brāh­maṇas und Vaiṣṇavas einige Fragen stellen“, ent­geg­nete Śrīla Guru­deva. „Nachdem meine Fragen beant­wortet wurden, werde ich mich zum yajña setzen.“

Er trat auf die Anwe­senden zu und ver­neigte sich demütig. „Ich erweise den ehr­wür­digen brāh­maṇas und sādhus meine Ehr­erbie­tungen. Bitte segnen Sie mich.“

Die Gäste dachten: „Man sagte uns, dass dieser Junge etwas eigen­sinnig sei, aber er scheint uns eher ein ange­nehmes und beschei­denes Wesen zu besitzen.“

 „Wenn Sie erlauben“, sagte Śrīla Guru­deva, „hätte ich eine kleine Bitte.“

Ja, wir werden deinen Wunsch erfüllen“, ant­wor­teten die ehr­wür­digen Gäste.

Beant­worten Sie mir güti­ger­weise meine Fragen: Worin besteht das letzt­liche Ziel des Lebens? Aus wel­chem Grund führt man so viele reli­giöse Tätig­keiten aus? Ich möchte gern die wirk­liche Wahr­heit erfahren und nicht durch welt­liche Unter­wei­sungen irre­ge­führt werden.“

Der gelehrte Vaiṣṇava aus Vārāṇasī sagte: „Ich werde deine Fragen beantworten.“

Śrīla Guru­deva fragte: „Wird ein Mensch, der sein Leben lang seinen Fami­li­en­an­ge­hö­rigen dient, Befreiung aus dem mate­ri­ellen Dasein erlangen? Wird er das Feuer welt­li­cher Ver­langen und der Illu­sion über­kommen und die Natur Gottes und seiner Seele ver­wirk­li­chen? Zu wel­chem Zweck befolgen die Men­schen dharma und ver­ehren Bhagavān?”

Es wurde still. Jeder war­tete auf eine Ant­wort. Der Vaiṣṇava sprach: „Ich möchte dir die unver­blümte Wahr­heit sagen: Ver­suche nicht, eine Geschäfts­be­zie­hung mit Bha­gāvan ein­zu­gehen. Die mei­sten Men­schen ver­ehren Gott und bringen ihm Speisen, Stoffe, Geld und so weiter dar, weil sie eine Beloh­nung dafür erwarten. Wenn sie keine mate­ri­ellen Ergeb­nisse bekommen, geben sie ihre Ver­eh­rung auf. Eine solche Geschäfts­be­zie­hung zu Gott ist das Merkmal von karmīs, von Mate­ria­li­sten, die an den Ergeb­nissen ihrer Tätig­keiten haften. Für mate­ri­ellen Wohl­stand beten sie Halb­götter an oder ver­göt­tern gewöhn­liche Men­schen, aber sie denken nicht an das Wohl ihrer Seele. Äußer­lich ver­ehren sie Nārāyaṇa und Seine spi­ri­tu­elle Kraft Śrī Lakṣmī­devī, die Glücks­göttin, aber im Grunde wollen sie Lakṣmī­devī nicht dienen. Viel­mehr ver­su­chen sie, Lakṣmī­devī von Nārāyaṇa zu stehlen, um mit Ihren Reich­tü­mern ihre eigene Sin­nes­freude zu vergrößern.“

 Śrīla Guru­deva Gesicht hellte sich auf: „Ja, Sie spre­chen die Wahr­heit. Aber wie kann ich die ewige Natur meiner Seele in Bezie­hung zu Gott ver­wirk­li­chen? Wie kann ich Dienst zu Ihm erlangen? Er gibt uns güti­ger­weise diesen mensch­li­chen Körper, damit wir ihn dafür nutzen, uns aus der mate­ri­ellen Bin­dung zu befreien. Wie kann ich mein Leben zum Erfolg führen und Gott verwirklichen?“

Es freut mich, dass du so ernst­haft nach der Wahr­heit suchst,“ erwi­derte der Vaiṣṇava. „Bezie­hungen in dieser Welt sind ver­gäng­lich. Unser Zusam­men­sein mit unserer Familie gleicht genau­ge­nommen dem Zusam­men­leben von Flücht­lingen in einem zeit­wei­ligen Asyl. Wir sind alle Flücht­linge, die sich von Bha­gāvan abge­wandt haben. Das letzt­liche Ziel des Lebens besteht darin, unsere ewige lie­be­volle Bezie­hung zu Bha­gāvan wie­der­zu­er­wecken. Dies wird mög­lich, wenn man ernst­haften sādhana (spi­ri­tu­elle Praxis) unter Füh­rung eines reinen Gott­ge­weihten ausübt. Sobald der reine Gott­ge­weihte unsere ehr­liche Bemü­hung sieht und uns barm­herzig ist, wird unsere Anhaf­tung an die Welt ver­fliegen und Liebe zu Gott erwachen.“

Ja, das ist die Wahr­heit“, stimmte Śrīla Guru­deva zu.

Nachdem der Vaiṣṇava-sādhu Śrīla Guru­devas beherzte und intel­li­gente Fragen beant­wortet hatte, wandte er sich an Paṇḍita Bāleś­va­ranātha. „Ich habe über Wesen deines Sohnes nach­ge­dacht. Er ist kein gewöhn­li­cher Junge, und auch seine Zukunft wird keine gewöhn­liche sein. Er wird nicht zu Hause bleiben, viel­mehr wird die gesamte Welt sein Zuhause sein. Er wird viele ver­irrte Seelen retten, indem er sie mit ihrer ewigen Natur ver­traut macht und sie mit Gott verbindet.“

Als Paṇḍi­tajī dies hörte, war zugleich erfreut und betrübt. „Sollen wir das yajña trotzdem durch­führen?“, fragte er.
„Ja, wir sollen Śrī Viṣṇu damit erfreuen.“ Der Vaiṣṇava nahm seinen Platz bei den Prie­stern wieder ein, die darauf war­teten, mit der Zere­monie zu beginnen.

Śrīla Guru­deva fragte ihn: „Was ist der Zweck dieses Feueropfers?“

Es soll Śrī Viṣṇu zufrie­den­stellen. Er ist der Genießer aller reli­giösen Tätigkeiten.“

Zusammen mit seinem Vater und Groß­vater nahm Śrīla Guru­deva dar­aufhin an dem yajña teil und gab Getrei­de­körner als Opfer­gabe in die Flammen, wäh­rend die Prie­ster But­ter­fett ins Hei­lige Feuer gossen. Nach Voll­endung des Opfers ver­teilten Paṇḍi­tajī und Śrīman Dhy­ān­candra Geschenke an die Gäste und bewir­teten sie mit mahā-prasāda.

Der Vaiṣṇava aus Vārāṇasī war von Śrīman Nārāy­aṇas Cha­rakter beein­druckt. Bevor er abreiste, suchte er einige wich­tige Verse aus dem Rāmāyaṇa, der Gītā und dem Bhā­gavatam heraus, die beschreiben, wie man die Bezie­hung zu Gott ent­wickelt, und gab sie ihm zum Lernen.

Sie saßen zusammen und spra­chen über spi­ri­tu­elle Themen:

Ist es für jemanden im Fami­li­en­leben mög­lich, sie von dieser Welt zu lösen und eine Bezie­hung zu Gott auf­zu­bauen?“, fragte Gurudeva.

Es ist sehr selten. Men­schen im Fami­li­en­leben hängen an Sin­nes­freude und in ihrer Gemein­schaft wird man dem­entspre­chend beein­flusst. Ver­kehrt man dagegen mit Gott­ge­weihten, die selbst ent­sagt sind, kann man Selbst­ver­wirk­li­chung erlangen.

In der fol­genden vedi­schen Geschichte wird dies schön ver­an­schau­licht. Es gab einmal einen Jungen namens Nārada, der mit seiner Mutter in einer kleinen Sied­lung im Wald lebte. Wäh­rend der vier Monate der Regen­zeit pflegten sich oft Weise dort auf­zu­halten, um zu medi­tieren und sich ihrer Ent­sa­gung zu widmen. Nārada und seine Mutter dienten den sādhus, indem sie Holz für ihre yajñas sam­melten, Blumen für ihre Ver­eh­rung pflückten und ihnen am Abend Essen ser­vierten. Die Weisen führten Feu­er­opfer durch, sangen hari-kīrtana, spra­chen über spi­ri­tu­elle Themen und medi­tierten über den Herrn. Nārada war von ein­fa­chem Wesen und erhielt einmal die Barm­her­zig­keit der Weisen in Form ihrer Erlaubnis, die Reste ihres Essens zu sich nehmen zu dürfen. Am Ende der vier Monate machten sich die sādhus daran, abzu­reisen.

Nārada weinte: ‚In Ihrer erha­benen Nähe habe ich ver­gessen, wer ich bin und wo ich bin. Seit Sie hier sind, bin ich voll­ständig in Śrī Bha­gā­vans Dienst ver­tieft. Ich fürchte, dass meine Mutter mich in Ihrer Abwe­sen­heit wieder mit welt­li­chen Tätig­keiten beschäf­tigen wird und ich diese kost­bare Gele­gen­heit für hin­ge­bungs­vollen Dienst ver­liere. Dann wird mein Wunsch, Gottes Hei­lige Namen zu chanten, all­mäh­lich wieder ver­schwinden. Bitte helfen Sie mir.‘

Auf Nāradas instän­diges Bitten hin gaben ihm die sādhus ein Mantra zu chanten. Nach ihrer Abreise ver­misste Nārada sie schmerz­lich. Er ver­tiefte sich in das Chanten des Man­tras, aber immer wieder rief ihn seine Mutter zum Essen, zum Schlafen oder zur Haus­ar­beit und unter­brach seine Kon­zen­tra­tion. Als sie ihn so begierig nach spi­ri­tu­ellem Leben sah, begann seine Mutter sich zu sorgen: ‚Bald wird er davon­laufen und mich verlassen.‘

Nārada hin­gegen betete zum Herrn: ‚Wann werde ich von dieser illu­so­ri­schen Anhaf­tung frei?‘

Kurze Zeit später wurde seine Mutter von einer Schlange gebissen. Nārada sah ihren toten Körper und ver­stand, dass jeder dem Tod geweiht und nur die Seele ewig ist. Er ver­ließ sein Haus ohne Trauer und ging auf eine Pil­ger­reise zu den hei­ligen Orten der Welt.

Er chan­tete das Mantra, das ihm die Weisen gegeben hatten, mit Auf­merk­sam­keit und betete unab­lässig. Eines Tages hatter er eine Vision: Gott erschien ihm am Himmel und sprach zu ihm: ‚Das stille Chanten Meines Man­tras genügt nicht, um Mich zufrie­den­zu­stellen. Du musst Meine Namen laut auf der Welt lob­preisen. Ver­ehre Mich ohne Unter­lass und erleuchte andere: das wird Mir zeigen, dass du Mich liebst und Meine Gesell­schaft wünschst.‘

Mit diesen Worten löste sich die Vision auf und Narada weinte vor Sehn­sucht nach dem Herrn. Bha­ga­vāns Anwei­sung fol­gend reist Nārada um die Welt, sang die Namen Gottes und unter­wies jeden, den er traf, den Herrn zu ver­ehren. Im Laufe der Zeit wurde er als großer Rṣi und reiner Gott­ge­weihter berühmt.

Einmal begeg­nete ihm ein König und er bat ihn inständig: ‚Bitte chanten Sie die Hei­ligen Namen!‘

Der König ent­geg­nete: ‚Ich habe viele Ver­pflich­tungen, ich habe keine Zeit, Gott zu ver­ehren. Ich muss mich um die Bürger meines Landes küm­mern. Falls Sie meine Auf­gaben über­nehmen, kann ich chanten. Haben Sie denn kein Pflicht­be­wusst­sein? Sie emp­fehlen anderen, Gott zu ver­ehren und ihre Ver­ant­wor­tung auf­geben, aber wenn jeder ihren Rat­schlägen folgen würde, wer sorgt dann für die Bürger?‘

Nārada Ṛṣi ant­wor­tete: ‚Ihre welt­li­chen Ver­pflich­tungen werden Sie nur noch mehr an diese Welt binden und dazu führen, dass Sie das wahre Ziel des Lebens ver­gessen. Wenn Sie dagegen Ihre Ver­ant­wor­tung wahr­nehmen, Bha­gavān und Seinen Geweihten zu dienen, wird Er Ihnen Seine Gunst schenken. Durch Seine Gnade können Sie und auch jeder andere, der mit Ihnen in Berüh­rung kommt, Glück­se­lig­keit kosten. Eure Maje­stät, die mei­sten Men­schen iden­ti­fi­zieren sich mit zeit­wei­ligen Pflichten, die nichts mit der Seele zu tun haben, aber eigent­lich ist diese Welt ein Ort, der uns lehren soll, Gott zu lieben und Ihm zu dienen, denn das ist die urei­gene Natur und wahre Pflicht eines jeden.‘

Unter Nārada Ṛṣis Ein­fluss wan­delte sich die Gesin­nung des Königs und er begann sādhana und bha­jana zu prak­ti­zieren. Sowohl der König als auch seine Bürger wurden im Herzen zufrieden, als sie begannen, den Herrn auf­richtig und mit Ver­trauen zu ver­ehren. Dies ist das Ergebnis von Gemein­schaft mit Hei­ligen. Einzig durch selbst­losen Dienst zu Bha­gavān kann man glück­lich werden und Erfül­lung im Leben finden.“

sa vai puṁsāṁ paro dharmo
yato bhaktir adho­kṣaje
ahai­tuky apra­ti­hatā
yay­ātmā suprasī­dati
Śrīmad-Bhāgavatam
 1.2.6

Die höchste Pflicht des Men­schen besteht darin, dem tran­szen­den­talen Herrn mit Liebe und Hin­gabe zu dienen. Dieser Dienst sollte ohne Pause und ohne selbsti­sche Wün­schen dar­ge­bracht werden. Solche bhakti zu prak­ti­zieren, schenkt Zufrie­den­heit und direkte Wahr­neh­mung von Kṛṣṇas wun­der­schöner Form.

Śrīla Guru­deva dachte über diese Unter­wei­sung nach und fragte dann: „Wie kann ich Cātur­māsya befolgen?“

Der Vaiṣṇava Sādhu war erfreut über die Ernst­haf­tig­keit des jungen Śrīman Nārāyaṇa und erklärte ihm die Regeln des Cāturmāsya-Gelübdes: „Das Wich­tigste ist, sich immer an Gott zu erin­nern und Ihn nie zu ver­gessen. Alle anderen Anwei­sungen der Schriften sind diesem Grund­satz unter­ge­ordnet und nur dazu bestimmt, uns dabei zu helfen, immer an Gott zu denken.“

smar­ta­vyaḥ satataṁ viṣṇur
vis­mar­tavyo na jātucit
sarve vidhi-niṣedhāḥ syur
etayor eva kiṅ­karāḥ
Padma-Purāṇa

Man soll sich immer an Śrī Viṣṇu erin­nern und Ihn nie ver­gessen. Alle anderen in den Schriften auf­ge­führten Regeln und Ver­bote sind Diener dieser beiden Prinzipien.

Der Vaiṣṇava-sādhu fuhr fort: „Der Geist und die Sinne sind wäh­rend der Regen­zeit unge­stümer als sonst. Gewisse Lebens­mit­teln erregen sie zusätz­lich und erschweren es, sich an Gott zu erin­nern. Viele Lebe­wesen in sub­tiler Form fallen mit Regen­tropfen auf die Erde herab, um im kar­mi­schen Kreis­lauf einen neuen Körper zu erhalten. Bestimmte Nah­rungs­mittel, die in dieser Zeit wachsen, beher­bergen dann diese lei­den­schaft­li­chen Lebe­wesen, die in unseren Körper ein­treten und den Geist erregen. Vaiṣṇavas meiden des­halb solche Nah­rungs­mittel wäh­rend der Cāturmāsya-Zeit.

Im ersten Monat ver­zichten Vaiṣṇavas auf Blatt­ge­müse, im zweiten auf Joghurt, im dritten auf Milch und im vierten auf Senf und Sesam. In allen vier Monaten meiden sie außerdem Nah­rung, die Lei­den­schaft ver­stärkt (wie Tomaten) oder sehr eiweiß­haltig ist (wie Urad-Dahl).

Śrīla Guru­deva nahm sich die Anwei­sungen des Vaiṣṇavas zu Herzen und ver­ab­schie­dete ihn, bevor er abreiste. Seine ganze Jugend hin­durch folgte er strikt dem Cāturmāsya-Gelübde und ver­brachte viel Zeit mit spi­ri­tu­ellen Tätig­keiten. Seine Schul­auf­gaben und anderen Pflichten erle­digte er rasch und mit Geschick, um die nötige Zeit dafür zu haben.

Sri Guru-Darsana

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