Srīla Gurudeva erwarb sich in Mathurā und Nordindien den Ruf eines eisernen sannyāsīs, eines Bhaktivedānta-Gelehrten und eines kraftvollen sādhus mit reiner Hingabe zu Kṛṣṇa. Die Menschen suchten seinen Rat für ihren praktischen spirituellen Fortschritt, aber sie kamen natürlich auch für ihre persönlichen Angelegenheiten.
Eines Nachts, als Śrīla Gurudeva in seinem Zimmer schlief, wurde seine Ruhe durch ein lautes Schlagen an das metallene Eingangstor zum Tempel unterbrochen. Er stand auf und ging die Treppe herunter. Am Tempeleingang beugten sich eine verstörte Frau mit ihren Söhnen besorgt über einen Mann. Einer der Söhne sah Śrīla Gurudeva am Tor und bat ihn inständig: „Hilfe! Bitte öffnen Sie das Tor und helfen Sie uns!“
„Was ist passiert?“
„Mein Vater ist von einem Geist besessen. Bitte, bitte, beschützen Sie uns. Mein Vater wird sterben, wenn Sie ihm nicht helfen. Überall hört man von ihrem Ruhm. Bestimmt können Sie ihn retten.“
„Ja, ich werde helfen.“ Śrīla Gurudeva schloss das Tor auf und trug den Mann hinein.
„Wie ist das genau passiert?“, wollte Gurudeva wissen.
„Vor einiger Zeit kam einmal ein brāhmaṇa-Priester zu uns nach Hause“, erklärte der Sohn. „Mein Vater war sein Schüler. Der Priester gab meinem Vater Geld mit der Bitte: ‚Ich muss für sechs Monate in einer dringenden Angelegenheit ins Ausland. Bitte bewahren Sie das Geld für meine Familie auf. Ein Dieb könnte es stehlen und meine Familie bedrohen, wenn ich es bei meiner Frau und meinen kleinen Kindern im Haus lasse. Meine Frau wird zu Ihnen kommen, wenn sie Geld für Medizin oder Lebensmitteln benötigt.‘
Der Priester ließ das Geld bei meinem Vater und reiste ab. Nach einigen Wochen kam seine Familie. Die Frau sagte: ‚Mein Mann hat ihnen Geld gegeben. Mein Kind ist krank. Bitte geben sie mir Geld, damit wir uns Medizin und Essen kaufen können.‘
Mein Vater jedoch tat, als wüsste er von nichts: ‚Ihr Mann? Wer ist das? Niemand hat mir etwas gegeben. Sie erzählen mir nur Geschichten, um Geld von mir zu bekommen. Verschwinden Sie, sonst hole ich die Polizei!‘
Der Frau blieb nichts anderes übrig, als mit ihren Kindern zurück nach Hause zu gehen. Sie hatten keine Verwandten oder hilfsbereiten Nachbarn und der Priester hatte niemanden von der Sache erzählt, also konnte sie sich auch nicht an ein Gericht wenden. Die Regenzeit kam und die Gesundheit der Kinder verschlechterte sich. Die Frau hatte kein Geld, um sich Essen zu kaufen, und sie kannte die Adresse ihres Mannes nicht und wusste nicht, wie sie ihn erreichen konnte. Sie war unterernährt und schwach. Ihre Kinder starben und kurz danach starb auch sie, krank und vergrämt über den Verlust ihrer Kinder.“
„Das war sehr unehrenhaft von Ihrem Vater“, bemerkte Gurudeva.
„Ja“, „stimmte der Sohn zerknirscht zu. „Als der brāhmaṇa nach Mathurā zurückkehrte, war er schockiert, seine ganze Familie verstorben zu sehen. Rasend vor Zorn konfrontierte er meinen Vater: „Gieriger Schuft! Ich habe dir Geld gegeben, aber du hast es dir unter den Nagel gerissen und nicht einen Pfennig meiner Frau gegeben, als sie in Not war! Jetzt ist meine Familie tot! Aber du wirst meine Rache spüren!“
„Als nächstes haben wir gehört, dass er eine Ziege kaufte. Um Mitternacht ging er zum Ufer der Yamunā, schlitzte der Ziege den Bauch auf, hob sie über seinen Kopf und badetet in ihrem Blut. ‚Mörder!‘, schrie er. ‚Du bist der Tod meiner Familie! Du hast mein Leben zerstört! Dafür werde ich jetzt deines zerstören!‘
Mit diesen Worten sprang er in die Yamunā und ertränkte sich.“
Der Sohn hielt inne.
„Dann wurde er ein brahma-rākṣasa-Geist und attackierte deinen Vater,“ sagte Śrīla Gurudeva.
„Ja“, bestätigte der Sohn. „Mein Vater hat eine furchtbare Sünde begangen. Der brahma-rākṣasa hat jetzt Besitz von meinem Vater ergriffen und treibt ihn in den Wahn. Seine Augen und Zunge treten aus seinem Gesicht hervor und er stößt schrille Flüche aus. Der Geist tötet ihn nicht, sondern hat Freude an seinen Qualen. Pausenlos verfolgt uns dieser Geist. Wir sind gekommen, um bei Ihnen Schutz zu suchen. Wie haben gehört, dass sie ein machtvoller sannyāsī sind. Mahārāja, wie können wir von dieser Plage frei werden? Bitte helfen Sie uns!“
„Es ist nicht möglich, jemandes Besitz zu stehlen, ohne schwere Reaktionen darauf zu erleiden“, sagte Śrīla Gurudeva. „Ein solcher Sünder wird für viele Leben bestraft. Statt schnell zu sterben, wird er von Krankheiten und Wunden heimgesucht. Er wird nichts essen können, ohne sich zu erbrechen.“
„Wie können wir von dieser Sünde frei werden?“
„Sie müssen bereuen und die vorgeschriebene Bußen ausführen,“ erklärte Śrīla Gurudeva. „Gehen Sie nach Viṣṇu Padodaka in Gayā, wo täglich Śrī Viṣṇus Fußabdrücke verehrt werden. Nehmen sie viermal so viel Geld mit, wie der brāhmaṇa Ihrem Vater gegeben hat. Führen Sie eine śrāddha-Zeremonie für die verstorbene Familie aus. Fasten und bereuen Sie. Führen Sie danach ein yajña durch, baden Sie in der heiligen Gaṅgā, speisen Sie die brāhmaṇas und verschenken Sie alles Geld an sie. Gestehen Sie jedem offen: ‚Wir sind die schlimmsten Sünder‘, und bitten Sie die sādhus und die brāhmaṇas um Barmherzigkeit. Nehmen Sie dann harināma- und dīkṣā-Einweihung und widmen sich ernsthaft dem bhajana.“
Die Familie befolgte Śrīla Gurudevas Rat und der Vater genas. Die ganze Familie nahm dīkṣā- und harināma-Einweihung von Ācārya Kesarī an und besuchte gelegentlich den Mathurā-Tempel. Dennoch war ihnen das Schicksal nicht günstig gesinnt. Obwohl er von Reaktionen auf seine früheren Sünden frei geworden war, änderte der Vater seine betrügerische Natur nicht, wie ein Elefant, der sich wieder mit Schmutz bewirft, nachdem er in einem Fluss oder See gebadet hat. Einige Jahre später kam es zu einem hitzigen Besitzstreit zwischen ihm und seinem Bruder. Der Streit eskalierte in eine Schlägerei. In dem Gerangel wurde der Vater eine Treppe heruntergestoßen. Seine Frau schrie vor Angst auf und rannte herunter und sah ihren Mann tot daliegen. Sie brach weinend zusammen. Mit der Zeit verlor sie den Verstand und begann wirre in Mathurā umherzuwandern. Ihre Söhne heirateten, aber rätselhafterweise waren sie alle impotent, und Ihre Frauen liefen mit anderen Männern davon.
Śrīla Gurudeva warnte die brahmacārīs im Tempel: „Jede einzelne Münze, die für den Dienst Śrī Gurus oder Bhagavāns gedacht ist, darf nie für persönlichen Zwecke benutzt werden. Spenden, die für eigene Sinnenbefriedigung benutzt missbraucht werden, wirken wie unheilvolles Gift. Es ist genauso, als ob man anderer Leute Blut trinkt. Wenn ihr Spenden sammelt, dann nehmt nur ein bisschen Mehl, Reis, Dal oder Gemüse an. Giert nicht nach leckerem Essen, Geld oder wertvollen Sachen. Bring alles, was ihr gespendet bekommt, der Bildgestalt dar, verteilt es an die Vaiṣṇavas und nehmt die letzte Portion maßvoll selbst zu euch. Denkt nicht: ‚Oh, das schmeckt gut. Das verstecke ich und genieße es selbst.‘ Teilt alles offen. Das wird euren Hals retten. Versucht nicht, andere zu betrügen. Veruntreut kein Geld und lügt nicht, denn sonst zerstört ihr euer Leben.“