Eintritt in den entsagten Lebensstand
Ācārya Kesarī wünschte, seine drei wichtigsten Schüler – Sajjana-Sevaka, Rādhānātha und Gaura-Nārāyaṇa – in den sannyāsa-āśrama einzuweihen. Obwohl er schon früher Sajjana-Sevaka und Rādhānātha gebeten hatte, sannyāsa anzunehmen, hatten sie die Bitte demütig zurückgewiesen, weil sie sich angesichts der führenden sannyāsa-Schüler Prabhupāda Sarasvatī Ṭhākuras für nicht qualifiziert hielten.
Eines Tages saß Ācārya Kesarī mit einem seiner geschätzten Gottbrüder, Śrīpāda Sanātana Prabhu, zusammen. Gurudeva saß bei ihren Füßen und hörte zu, wie sie die Vorbereitungen für den kommenden Navadvīpa-Parikramā 1952 besprachen. Als sich ihre Unterhaltung dem Ende zuneigte, blickte Ācārya Kesarī auf Gaura-Nārāyaṇa und sagte: „Ich möchte dich in den entsagten Lebenstand des sannyāsa einweihen. Es gibt nicht viele, die das prema-dharma Mahāprabhus verstehen. Ich bin überglücklich, dass du die innere Stimmung und den Herzenswunsch Mahāprabhus vollständig angenommen hast. Ich bin sicher, dass du in der Lage bist, diese vertraulichen transzendentalen Lehren auf der Welt zu verbreiten.“
Gurudeva, der sein Selbst bereits hingegeben hatte, ergriff Ācārya Kesarīs Füße und begann zu weinen: „Ich habe alle Anhaftung an meine frühere Familie aufgegeben. Ich ergebe mich ganz deinen Lotosfüßen. Du kannst mir die Kleider des sannyāsa-Standes verleihen oder mich mit anderen Pflichten betrauen, wie es dir beliebt. Ich gehöre dir. Ich werde tun, was immer du wünschst.“
Freudestrahlend rief Ācārya Kesarī nach Sajjana-Sevaka und Rādhānātha. „Gaura Nārāyaṇa ist mir völlig ergeben und bereit, sannyāsa anzunehmen“, sagte er. „Wenn er sannyāsa annimmt, werdet ihr euch respektvoll vor ihm verneigen, obwohl ihr um Jahre länger im Tempel lebt als er?“ Als sie diese liebevoll ironischen Worte Ācārya Kesarīs hörten, verstanden Sajjana-Sevaka und Rādhānātha Prabhu seinen Wunsch und stimmten zu, sannyāsa anzunehmen.
Am Gaura-Pūrṇimā Tag 1952, überreichte Śrīla Bhaktiprajñāna Keśava Gosvāmī Mahārāja seinen drei geliebten Schülern die sannyāsa-Kleidung und weihte sie in die sannyāsa-Mantras ein. Sajjana-Sevaka war fortan als Bhaktivedānta Vāmana Mahārāja bekannt, Rādhānātha als Bhaktivedānta Trivikrama Mahārāja und Gaura-Nārāyaṇa als Bhaktivedānta Nārāyaṇa Mahārāja. Zum ersten Mal hatte Ācāryadeva jemanden in den sannyāsa-Stand eingeweiht. Der Titel, den er seinen sannyāsīs verlieh, war zuvor noch nie verliehen worden und trägt eine tiefe Bedeutung. Ācārya Kesarī betonte, dass die wahre Bedeutung des Vedānta, auch als Brahma-Sūtra bekannt, darin besteht, den Pfad der bhakti zu beleuchten. Die 550 Verse des Vedānta stellen die Essenz der 1100 Upaniṣaden dar, welche wiederum den Kern der Veden bilden. Sinn der Vedischen Schriften ist es, den Kreislauf von Geburt und Tod zu beenden und unvermischte Hingabe zum Höchsten Herrn Kṛṣṇa zu erwecken. Ācārya Kesarī verlieh den Titel „Bhaktivedānta“, um darauf aufmerksam zu machen, dass bhakti die Schlussfolgerung des Vedāntas darstellt.
Als Vyāsadeva die sūtras des Vedānta niederschrieb, wusste er, dass spirituelle Führer in der Zukunft Kommentare dazu schreiben würden, um damit ihre eigene Ideologie zu verbreiten, und dass sie die Bedeutung reiner bhakti vernachlässigen würden. Deswegen verfasste er das Śrīmad Bhāgavatam als den natürlichen Kommentar und die wahre Erklärung des Vedāntas. Er erwähnte dies in anderen Vedischen Schriften, wie dem Garuḍa Purāṇa:
artho ‘yaṁ brahma-sūtrāṇāṁ
bhāratārtha-vinirṇayaḥ
gāyatrī-bhāṣya-rūpo ‘sau
vedārtha-paribṛṁhitaḥ
Das Śrīmad Bhāgavatam erklärt die Bedeutung des Brahma-Sūtras und des Mahābhārata. Es ist der Kommentar zum Gāyatrī-Mantra und die Essenz aller Veden.
Die Veden, Upaniṣaden und vor allem das Vedānta-Sūtra schreiben Hingabe zu Kṛṣṇa vor. Das Wort jñāna (Wissen) wird nicht einmal in den 550 Aphorismen des Vedānta erwähnt. Das sūtra „janmādyasya yataḥ“ erkennt den Höchsten Herrn als Schöpfer, Erhalter und Zerstörer dieser kosmischen Manifestation an, beweist also das Vorhandensein seiner göttlichen Gestalt, Energie und transzendentalen Eigenschaften. Das sūtra „arūpavad eva hi tat pradhānatvāt“ beschreibt die erhabene Gestalt des Höchsten Herrn. Das sūtra „ānandamayo ´bhyāsyāt“ belegt die freudvollen Spiele Kṛṣṇas und Seiner geliebten Gefährten und Gefährtinnen, und im sūtra „anāvṛtti śabdād anāvṛtti śabdāt“ wird erklärt, dass die Absolute Wahrheit einzig und allein durch nāma-saṅkīrtana erreicht werden kann, das gemeinsamen Chanten der Heiligen Namen.
Das Vedānta weist auf die letztliche Schlussfolgerung der Veden hin, nämlich das Śrīmad-Bhāgavatam. Das Bhāgavatam wiederum kulminiert im rāsa-līlā. Ein Bhaktivedānta ist jemand, der den Zugang zu den Themen des rāsa-līlās geben kann, und durch solches Hören vom Bhaktivedānta wird die Seele befähigt, in den transzendentalen rasa der gopīs mit Śrī Kṛṣṇa einzutreten. Nur in der Nachfolge Ācārya Kesarīs wird den sannyāsīs der Titel Bhaktivedānta verliehen.