Unerwartete Rückkehr
Als Śrīla Gurudeva seine Familie Ende 1946 verließ und der Mission Śrī Caitanya Mahāprabhus in der Devānanda Gauḍīya Maṭha beitrat, waren seine Familienangehörigen so bestürzt, dass sie alles stehen und liegen ließen und in allen Richtungen nach ihm suchten. Sie suchten monatelang persönlich und beauftragten auch Detektive, aber ohne Erfolg. Um Gurudeva zu finden, befragte die Familie sogar mystische Tāntrikas, chantete spezielle Mantras und führte Vedische Rituale durch. Als sich alle Anstrengungen als fruchtlos erwiesen, verloren Paṇḍita Baleśvaranātha und Lakṣmīdevī ihre Hoffnung.
Paṇḍita Baleśvaranātha besaß etwa vierzig Hektar Land. Im Kummer über Gurudevas Verschwinden verstrich die Pflanzzeit für den Reis. Der Monsunregen kam und ging, aber von Śrīman Nārāyaṇa war keine Spur zu entdecken. Im Herbst gab Paṇḍita Baleśvaranātha sein Suchen auf und kehrte nach Tiwaripur zurück. Auf dem Heimweg, während er darüber nachsann, wie sein Leben ohne seinen geliebten Sohn weitergehen sollte, fiel ihm ein, dass er nichts gesät hatte und folglich dieses Jahr kein Getreide ernten würde. Verzweiflung überkam ihn: „In jeder Hinsicht ist unser Leben ruiniert. Bevor Nārāyaṇa wegging, brachte er seinen Sold als Polizeioffizier heim, der zusätzlich zu den Einnahmen aus der Ernte unsere große Familie erhielt. Jetzt haben wir nicht nur Nārāyaṇa verloren, sondern auch die Ernte.“
Zurück in Tiwaripur inspizierte Paṇḍita Baleśvaranātha seine Felder und war verblüfft, dass sie voller saftiger grüner Reispflanzen standen, mit praller gefüllten Ähren als in früheren Jahren und gerade bereit zur Ernte. Er fragte seine Nachbarn, wer den Reis gepflanzt hatte. Jeder staunte, aber keiner wusste etwas.
Ohne Wissen seiner Familie hielt sich Śrīla Gurudeva zur gleichen Zeit in Devaghara auf, einem abgelegenen Waldgebiet nahe der Grenze zwischen Bengalen und Bihar. Gelegentlich erforderte es Śrīla Gurudevas Dienst, mit dem Zug zum Bauernmarkt nach Josidihi zu fahren, einer nahegelegenen Stadt. Eines Tages, als er aus dem Zug in Josidihi ausstieg, sah Gurudeva seinen Cousin, Kedarnātha Tiwari, der Schaffner war und gerade an der gleichen Haltestelle stand. Kedarnātha Tiwari und Gurudeva waren lange Jahre Freunde gewesen. Kedarnātha freute sich unübersehbar, seinen Freund zu treffen, und er umarmte Gurudeva herzlich. Er befragte Gurudeva nach seinem Verbleib und Gurudeva, der von einfachem Herzen war, erzählte Kedarnātha, wo er in Devaghara wohnte. Kedarnātha wollte Gurudeva überzeugen, zumindest einmal kurz für einen Besuch nach Hause zu kommen, doch Gurudeva lehnte ab. Nach einer herzlichen Unterhaltung erledigte Gurudeva seine Besorgungen und fuhr zurück nach Devaghara.
Nachdem Gurudeva sich verabschiedet hatte, lief Kedarnātha Tiwari sofort zur Poststation und sandte ein Telegramm an Gurudevas Familie. Am nächsten Tag stand unerwartet Gurudevas gesamte Familie vor Ācārya Kesarīs Āśramas in Devaghara. Sein Vater, seine Mutter, Geschwister, Ehefrau und andere verlangten Auskunft über Śrīman Nārāyaṇa. Sie wurden zu seinem Zimmer gewiesen, wo er gerade krank mit Fieber im Bett lag. Als sie das Zimmer betraten, sahen sie Gurudeva schlafend, zugedeckt mit einem weißen Laken.
Paṇḍita Tiwari zog vorsichtig das Laken herunter und umarmte seinen Sohn mit Tränen in den Augen. Lakṣmīdevī schlug sich ihre Brust und weinte: „Mein Sohn! Mein Sohn!“ Seine Geschwister und Eltern umarmten Gurudeva innig und baten ihn, nach Hause zurückzukehren.
Gurudeva jedoch war entschlossen, bei Ācāryadeva zu bleiben. Er sagte: „Ich habe mein Leben den Lotosfüßen Guru Mahārājas hingegeben. Ich werde nicht zurückkehren.“
Sie baten ihn inständig: „Sieh, wie krank du hier geworden bist. Bitte komm mit nach Hause. Wir werden dich gesundpflegen.“ Als Gurudeva nicht nachgab, wandten sich seine Eltern weinend an Ācārya Kesarī und beteten: „Bitte geben Sie uns unseren Sohn zurück.“
„Ich habe ihn nicht gerufen“, erwiderte Ācārya Kesarī. „Er kam aus freien Stücken. Wenn Sie ihn nach Hause mitnehmen möchten, steht dem nichts im Weg.“ Die Liebe spiritueller Persönlichkeiten transzendiert die zeitweilige Liebe dieser Welt. Ācāryadeva wusste, dass Gurudeva wieder zum āśrama zurückkehren würde und gab ihm deshalb die Erlaubnis, in sein Dorf zu gehen. Śrīla Gurudevas Familienangehörigen waren überglücklich und nahmen ihn mit nach Hause. Sie fühlten sich, als sei ihr Leben zurückgekehrt.
Auf dem Weg nach Tiwaripur erzählte Paṇḍita Baleśvaranātha Śrīla Gurudeva über die Reisfelder, die so rätselhaft gewachsen waren. Angekommen, inspizierten sie den Reis. Erstaunt, die riesigen Körner zu sehen, sagte Gurudeva: „Es ist Zeit, das Getreide zu ernten. Ich fange morgen damit an.“
„Wer hat das Korn ausgesät?“, wunderte sich der Vater. „Wir sollten es herausfinden, damit wir die Ernte mit ihm teilen können.“ Aber unter den freudigen Ereignissen vergaß Paṇḍita Tiwari seine Sorgen.
Die Tiwaris zelebrierten Gurudevas Rückkehr, indem sie die Bewohnern Tiwaripuras einluden und ein zweitägiges Fest feierten. Paṇḍita Tiwari und Lakṣmīdevī verehrten prunkvoll ihre Familienbildgestalt und dankten Śrī Nārāyaṇa für Seine Großherzigkeit und Güte, ihnen ihren Sohn zurückzugeben. Eine Kapelle spielte rührselige Lieder und Hunderte Gäste aus Tiwaripur und nahegelegenen Dörfern strömten herbei, um die Rückkehr des verlorenen Sohnes zu feiern.
Śrīla Gurudeva blieb reserviert und aß kaum. Er verhielt sich seiner Familie und alten Freunden gegenüber neutral und dachte ständig darüber nach, wie er wieder zu seinem spirituellen Meister zurückkehren konnte. Schon in der ersten Nacht lehnte er es ab, das Innere des Hauses zu betreten, und übernachtete stattdessen in einem Studienzimmer im Eingangsbereich des Anwesens.
Nach dem Fest organisierte Paṇḍita Baleśvaranātha ein Treffen führender Gelehrter, des Familiengurus, achtbarer Leute aus Tiwaripur und umliegenden Dörfern sowie auch naher Kindheitsfreunde Gurudevas, mit der Hoffnung, seinen Sohn zu überzeugen, zu Hause seinem bhajana nachzugehen und zugleich für seine Frau, Kinder und Familie zu sorgen. Paṇḍita Tiwari bat Śrīla Gurudeva, an dem Treffen teilzunehmen. Die Gelehrten und wichtigen Persönlichkeiten gaben Vorträge über dharma, in denen sie darüber sprachen, dass es die Pflicht eines Sohnes sei, seinen Eltern als rechtschaffener Haushälter zu dienen.
Die Eltern ernähren und sorgen für ihre Kinder vom Säugling bis zum Erwachsenalter. Deshalb sind Kinder ihrerseits den Eltern verpflichtet und sollten ihre Schuld begleichen, indem sie ihren Eltern im Alter dienen. Die Paṇḍitas führten Beispiele aus dem Bhāgavatam von religiösen Haushältern an, die zugleich große Geweihten des Herrn waren, wie den Pāṇḍavas, Bali Mahārājas und Ambarīṣa Mahārājas. Sie gaben auch Beispiele von großen Weisen und Asketen, die Entsagung und Meditation ausführten, ohne ihre Familien zu verlassen. Sie erklärten: „Wenn du deine Familie, deine Töchter und deine junge Frau aufgibst, wirst du ihnen gegenüber verschuldet sein und schwere Sünde für den Kummer und die Schwierigkeiten auf dich laden, die du ihnen bereitest.“
Śrīla Gurudeva erwiderte demütig mit einem Vers aus dem Bhāgavatam (11.5.41):
devarṣi-bhūtāpta-nṛṇāṁ pitṝṇāṁ
na kiṅkaro nāyam ṛṇī ca rājan
sarvātmanā yaḥ śaraṇaṁ śaraṇyaṁ
gato mukundaṁ parihṛtya kartam
Mein König: jemand, der sich Mukunda, der höchsten Zuflucht aller Lebewesen, vollständig ergeben hat, ist weder den Halbgöttern, noch den Weisen, den Vorfahren, der Familie oder andern Lebewesen verschuldet. Er ist einzig und allein Śrī Mukundas Diener.
Nicht imstande, dieses Schriftzitat zu widerlegen, änderten die paṇḍitas ihre Herangehensweise und rieten Gurudeva: „Wenn du nicht Haushälter sein willst, dann lebe als Mönch zu Hause und diene Gott. Wenn du das Zölibat einhältst, kannst du so mächtig werden wie dein Großvater Gorakhanātha, der neben seiner Frömmigkeit auch große Stärke besaß. Er konnte schwer beladene Ochsenkarren mit bloßen Händen aus dem Schlamm ziehen und wütende Stiere voneinander trennen.“
„Ein Elefant ist auch stark“, entgegnete Gurudeva, „aber physische Kraft führt nicht zum höchsten Ziel des Lebens, zu reiner Hingabe zu Gott.“
Śrīla Gurudeva zitierte daraufhin diesen Bhāgavatam-Vers (11.9.29):
labdhvā su-durlabham idaṁ bahu-sambhavānte
mānuṣyam artha-dam anityam apīha dhīraḥ
tūrṇaṁ yateta na pated anu-mṛtyu yāvan
niḥśreyasāya viṣayaḥ khalu sarvataḥ syāt
Die menschliche Lebensform ist sehr selten und wird erst nach vielen Geburten erlangt. In jeder Lebensform ist Sinnenbefriedigung erhältlich, doch nur in der Geburt als Mensch – obgleich auch diese zeitweilig ist – gibt es die Möglichkeit, das höchste Ziel spiritueller Vollkommenheit zu erreichen. Ein intelligenter Mensch wird deshalb keinen Moment zögern, sich um sein wahres Wohl zu bemühen, bevor der Tod ihn ereilt.
Darauf wandten die paṇḍitas ein: „Wer sagt, dass du dein Leben nicht zu Hause vervollkommnen kannst? Sieh das Beispiel Prahlāda Mahārājas. Er erhielt Bhagavāns darśana zu Hause.“
„Prahlāda Mahārāja hörte für sechzigtausend Jahre hari-kathā von seinem spirituellen Meister Nārada Ṛṣi, dem vertrauten Geweihten Śrī Nārāyaṇas“, erwiderte Śrīla Gurudeva. „Dieses Beispiel beweist, dass man Bhagavāns darśana nur durch erstklassige sādhu-saṅga erlangt. Auch Dhruva sah Bhagavān erst, nachdem ihm die Gnade Nārada Ṛṣis zuteilgeworden war. Aus diesem Grund habe ich Zuflucht bei den Lotosfüßen eines befreiten Gurus der Brahma-Madhva-Gauḍīya-Sampradāya gesucht, die von Kṛṣṇa selbst ausgeht und über Brahmā, Nārada Ṛṣi, Vyāsadeva, Madhvācārya und Caitanya Mahāprabhu bis zum heutigen Tag herabkommt.
Ein paṇḍita bat Śrīla Gurudeva daraufhin, die Philosophien der verschiedenen sampradāyas zu erläutern. Gurudeva beschrieb die Kerngedanken der Viśiṣṭādvaita‑, Kevalādvaita‑, Śuddhādvaita- und Dvaita-Auffassungen wie auch die Acintya-Bhedābheda-Philosophie. Er erklärte der Zuhörerschaft, dass die Kevalādvaita-Lehre Śaṅkarācāryas die Absolute Wahrheit (Brahman) als unpersönlich, ohne Form und ohne Eigenschaften beschreibt, die Seele als letztlich identisch mit dem Brahman und die Welt als illusorisch. Nach Śrī Rāmānujācāryas Śuddhādvaitavāda sind die Lebewesen und der materielle Kosmos Eigenheiten der Absoluten Wahrheit, aber dennoch ewig von Ihm verschieden. Śrī Madhvācāryas Dvaitavāda betont fünf ewige Unterschiede: (1) den Unterschied zwischen Gott und den Lebewesen, (2) zwischen den individuellen Seelen, (3) zwischen Gott und der Materie, (4) zwischen verschiedenen materiellen Objekten, und (5) zwischen der Materie und den Lebewesen. Śrī Caitanya Mahāprabhu schließlich vereinte die Lehren aller ācāryas im vollkommenen Verständnis der Absoluten Wahrheit, Acintya-Bhedābheda-Tattva. Auf Grundlage der Veden beleuchtete Caitanya Mahāprabhu die höchste Stellung Śrī Śrī Rādhā-Kṛṣṇas, die zusammen die vollständige Absolute Wahrheit verkörpern. Kṛṣṇa und Seine Energie sind eins, so wie Hitze und Licht nicht von Feuer zu trennen sind. Nicht Gott selbst transformiert sich in die Lebewesen, sondern Seine Energie übernimmt diese Aufgabe. Durch die Umwandlung von Kṛṣṇas unbegreiflicher, von Ihm nicht zu trennenden Energie, ist alles Existierende gleichzeitig eins mit und verschieden von Ihm.
Gurudeva schloss: „Die anderen Lehren sind als vādas, als Theorien, bekannt, Acintya-Bhedābheda dagegen als tattva, als schlüssige Wahrheit. Alle anderen Auffassungen sind in Mahāprabhus Philosophie miteingeschlossen, so wie die verschiedenen Mondphasen im Vollmond, und sie ist glorreich, weil sie reine Hingabe zu Kṛṣṇa betont. Das ist das Verständnis meines Guru Mahārājas.“
Die Mehrheit derer, die beabsichtigt hatten, Gurudeva zu überzeugen, zu Hause zu bleiben, zeigten sich von seinem Wissen, seinem festem Vertrauen und seiner Hingabe beeindruckt. Sie ließen seine Eltern wissen, dass diese sich glücklich schätzen konnten, einen so intelligenten Sohn zu haben. Nachdem sie prasāda geehrt hatten, kehrten sie nach Hause zurück.
Der Familienguru jedoch sprach mit Paṇḍita Tiwari unter vier Augen: „Die Bengalen haben deinen Sohn mir schwarzer Magie verhext. Du musst diesen Bann brechen, damit er wieder normal wird.“
„Wo ist die schwarze Magie?“
„Sie ist an zwei Stellen: in dem Beutel, in den er seine Hand zum Chanten steckt, und in den drei Schnüren von Tulasī-Perlen um seinen Hals. Nimm ihm seine Gebetskette weg und schneide die Tulasī-Schnüre durch, während er schläft. Bring beides zur Gaṅgā und wirf es ins Wasser, dann wird Nārāyaṇa wieder zu Sinnen kommen.“
Paṇḍita Tiwari berief heimlich den Familienrat ein, um zu besprechen, wie man Gurudevas entsagte Haltung berichtigen könne. Obwohl froh, ihn wieder zu Hause zu haben, fürchteten sie, er könnte sie wieder verlassen. Paṇḍita Tiwari sagte: „Er hat sich die Haare und den Bart abrasiert. Das symbolisiert, dass seine Eltern für ihn gestorben sind. Gurujī sagt, dass die Bengalen, mit denen er war, mächtige Yogīs sind, die ihn mit mystischen Kräften und schwarzer Magie beeinflussen. Jetzt ist er zwar zurückgekehrt, aber bestimmt liegt ein Bann auf ihm, der ihn zwingen wird, wieder wegzugehen. Gurujī sagt, dass die drei Tulasīketten, die er um den Hals trägt, und die Tulasīperlen in dem Stoffbeutel, auf denen er chantet, verhext sind. Sie machen ihn gefügig und willenlos. Wir müssen sie abschneiden, während er schläft.“
Die Familie schlich nachts zur Schlafenszeit in sein Zimmer und schickte seinen jüngeren Bruder mit einem Messer vor, um ihm die Halsketten abzuschneiden. Doch Śrīla Gurudeva hielt beim Schlafen gewöhnlich seinen Chantbeutel in seinen Händen auf der Brust und trug einen chaddar um seinen Hals. Sein Bruder war ratlos. Mehrere Minuten vergingen, in denen er still neben Gurudevas Bett hockte und angestrengt überlegte, wie er es anstellen sollte. In dem Moment öffnete Śrīla Gurudeva seine Augen und blickte ihn direkt an. Er durchschaute seine Absicht und sagte zornig: „Wenn du mir meine Tulasīketten abschneidest, schneide ich mir den Hals durch. Willst du das?“
„Nein“, antwortete dieser entgeistert, „aber du verstehst nicht: auf diesen Ketten liegt ein Bann, der dich verwirrt. Bitte nimm sie ab, damit sie dich nicht mehr kontrollieren.“
„Ich bin bei klarem Verstand“, erwiderte Gurudeva, „und ich werde niemandem erlauben, meine Tulasī zu entfernen.”
Selbst dieser peinliche Vorfall hielt die Familie nicht davon ab, ihren Plan weiterzuverfolgen. Nach zwei weiteren Fehlversuchen schließlich kam Paṇḍita Tiwari zur Einsicht. Er hatte eines Nachts einen Traum, in dem eine göttliche Stimme zu ihm sprach: „Śrīman Nārāyaṇa ist Mein reiner Geweihter. Er ist in dieser Welt nur erschienen, um Mir zu dienen. Ich habe Mahā-Lakṣmī gesandt, deinen Reis zu pflanzen, damit deine Familie keinen Mangel leidet, während du nach deinem Sohn suchst. Lass jetzt Śrīman Nārāyaṇa ungestört seinen bhajana ausführen.“
Paṇḍita Tiwari hörte noch einmal denselben Vers, den sein Sohn zuvor zitiert hatte:
devarṣi-bhūtāpta-nṛṇāṁ pitṝṇāṁ
na kiṅkaro nāyam ṛṇī ca rājan
sarvātmanā yaḥ śaraṇaṁ śaraṇyaṁ
gato mukundaṁ parihṛtya kartam
„Derjenige, der sich Mir, Mukunda, völlig ergeben hat, ist niemandem etwas schuldig. Ich begleiche seine Schulden. Warum sorgst du dich? Dein Sohn besitzt niṣkiñcana-bhakti für Guru und Bhagavān. Er ist mit allen guten Eigenschaften gesegnet und seine Verwandten werden nie Mangel leiden. Du hast nicht einen Halm gepflanzt und trotzdem ist alles besser gewachsen denn je. Worüber also beschwerst du dich? Lass deinen Sohn seinen Weg gehen.“
Paṇḍita Tiwari erwachte und ging zu seinen Feldern. Er sah, dass der gesamte Reis geschnitten und zu Garben gebunden war. Er fragte herum, wer das getan hatte, aber jeder war genauso überrascht wie er. Am nächsten Tag, als er mit dem Dreschen beginnen wollte, fand er die ganze Ernte ausgedroschen und in Säcke verpackt vor, das Stroh sorgfältig daneben aufgeschichtet. Zuvor hatte er sich gewundert: „Wer hat den Reis gepflanzt?“ Und jetzt fragte er sich: „Wer hat gepflanzt, geerntet, gedroschen und sortiert?“
Die gesamte Familie hatte über der Suche nach ihrem geliebten Śrīman Nārāyaṇa alles vergessen, und als sie ihn dann gefunden hatten, feierten sie und vernachlässigten die Ernte. Aber wie durch ein Wunder war die Arbeit getan.
Śrīla Gurudeva verlebte seine Zeit zu Hause mit dem drängenden Wunsch, wieder in Śrīla Bhaktiprajñāna Keśava Gosvāmī Mahārājas āśrama zurückzukehren. Die meiste Zeit des Tages brachte er mit spirituellen Tätigkeiten zu und nahm seine Mahlzeiten allein in seinem Studierzimmer ein. Er stand jeden morgen früh auf und ging zur Gaṅgā. Nachmittags gab er seinen jüngeren Geschwistern Nachhilfeunterricht in ihren Schulfächern und las ihnen Geschichten aus den Schriften vor.
Eines Nachmittags im Januar 1948 kamen sein jüngerer Bruder und seine Schwester mit ihren Hausaufgaben zu ihm, aber Gurudeva sagte, dass er sich nicht wohl fühle und sie an diesem Tag nicht unterrichten würde. Als seine Mutter ihm sein Abendbrot brachte, lehnte Gurudeva das prasāda ab. Am nächsten Morgen gegen Neun schickte Paṇḍita Tiwari seinen jüngsten Sohn, um zu sehen, wie es Gurudeva ginge und ob er Hilfe oder Medizin bräuchte, weil er nicht wie gewohnt aufstand und die Familie begrüßte. Gurudeva schlief auf einer hölzernen Pritsche und einer einfachen Matratze unter einem Moskitozelt, das über die vier Ecken seines Bettes herabhing. Der Junge kam in das Studierzimmer und trat an Gurudevas Bett. Er sah auf die Decke auf Gurudeva und dachte sich: „Er muss sehr krank sein, dass er sogar seinen Kopf bedeckt.“ Als er aber die Decke anhob, lag darunter nur Stroh. Er stürmte zurück ins Haus mit der niederschmetternden Nachricht, dass Nārāyaṇa fort war.
Für viele Tage hatte Gurudeva darüber nachgedacht, wie er sich ohne großes Aufsehen davonstehlen konnte. Diese Nacht nun hatte er Stroh unter seine Decken gestopft und war ungesehen aus dem Haus geschlüpft. Um nicht zu riskieren, dass ihn jemand erkannte und seine Familie benachrichtigte, ging er nicht zum örtlichen Bahnhof, sondern wählte einen Weg durch einen gefährlichen Wald, in dem Geister in Gestalt von Büffeln, Stieren und schaurigen Raubtieren herumspukten. Niemand aus der Gegend setzte nachts einen Fuß in diesen Wald. Nur mit einem dhoti und chaddar am Leib und seiner Tulasīkette in der Hand, auf der er unablässig chantete, durchquerte Śrīla Gurudeva unbehelligt das Waldstück.
An einem Bahnhof weit weg von seinem Dorf kaufte Gurudeva am frühen Morgen eine Zugfahrkarte nach Navadvīpa. In Navadvīpa kam er zur Devānanda Gauḍīya Maṭha. Seine aufgelösten Angehörigen dagegen fuhren sofort nach Devaghara, in der Hoffnung, ihn dort zu finden. Als sie ihn nicht antrafen, schickten sie Suchtrupps zu allen Gauḍīya-āśramas in Bengalen und fanden heraus, dass ihr Sohn sich in der Devānanda Gauḍīya Maṭha in Navadvīpa aufhielt. Gurudevas Eltern besuchten ihn dort und baten ihn, zurückzukehren. Doch Gurudeva war entschlossen, in Navadvīpa unter der Obhut Ācārya Kesarīs zu bleiben. Als sie ihn nicht umstimmen konnten, ersuchte ihn sein Vater schließlich: „Wir haben einen letzten Wunsch. Bevor wir aus diesem Leben scheiden, besuche uns bitte ein letztes Mal.“
Śrīla Gurudeva stimmte zu und seine Eltern kehrten schweren Herzens nach Hause zurück, ihrer letzten Hoffnung beraubt. Sie waren besiegt worden. Wie konnten sie Gurudeva überzeugen, zurückzukommen, wenn ihre Felder voller Getreide standen? Wäre nicht die unerklärliche Reisernte, wer weiß, was die Tiwaris angestellt hätten, um Gurudeva zurück zum Hof zu holen. Bihārīs können äußerst ungehalten werden und sehr nachtragend sein.
Doch das Leben der Tiwaris ging weiter, und zwar ohne Schwierigkeiten, denn es heißt, dass Bhagavān 330 Millionen Halbgötter im Dienst derer beschäftigt, die Ihm alles hingeben. Die Menschen aus Tiwārīpura und den Nachbardörfern fühlten sich von Bhagavān inspiriert, den Tiwaris mit ihren Feldern und ihrem Anbau zu helfen. Bald waren Śrīla Gurudevas Brüder alt genug, den Hof zu führen, und seine Schwestern wurden in ehrbare Familien verheiratet. Auch Gurudevas drei Töchter wurden mit Erfolg großgezogen und heirateten angesehene Ehemänner.
Am Anfang waren die Leute aus Tiwaripur entrüstet und verurteilten Śrīla Gurudeva dafür, seine Familie und jungen Kinder im Stich zu lassen. Jahre später aber verstanden sie seine Größe und viele kamen für Rat zu ihm und nahmen harināma- und dīkṣā-Einweihungen von ihm an. Sie verstanden, dass Śrīla Gurudeva kein gewöhnlicher Mensch war, sondern eine befreite Seele, die barmherzigerweise in ihrem Dorf erschienen war.