Das gesegnete Kali-Yuga
In den ersten Jahren übersetzte, editierte und veröffentlichte Śrīla Gurudeva in der Śrī Bhāgavata Patrikā Stück für Stück zuerst zwei umfangreiche Bücher und danach andere wichtige Gauḍīya-Schriften, wie das Vaiṣṇava-Siddhānta-Mālā, Bhakti-Tattva-Viveka, Śrī Śikṣāstakam, Śrī Upadeśāmṛta, Śrī Manaḥ-Śikṣā und Śrī Caitanya-Śikṣāmṛta. Die ersten zwei Bücher, die Śrīla Gurudeva übersetzte, waren das Jaiva Dharma Śrīla Bhaktivinoda Ṭhākuras und Ācārya Kesarīs Die Geschichte des Māyāvāda (Vaiṣṇava Vījaya).
Durch Hörensagen wurde die Patrikā in Nordindien mehr und mehr bekannt und die Bestellungen stiegen stark an. Keine andere Veröffentlichung erklärte die Absolute Wahrheit so deutlich wie die Patrikā, ohne jegliche Spur von weltlicher Sentimentalität, unpersönlichen Auffassungen oder erdachten Auslegungen, die den Lehren der Veden widersprachen. Die Zeitschrift gewann an Einfluss in den gelehrten und religiösen Kreisen wie auch bei anderen führenden Vaiṣṇava-sampradāyas. Leser, denen die Gauḍīya-Vaiṣṇava-Lehren neu waren, wandten sich oft mit ihren Fragen an Śrīla Gurudeva, und Gurudeva beantwortete diese Fragen in den folgenden Ausgaben.
Einmal schrieb Śrī Premadāsajī aus dem Bergland Dehraduns einen Brief an die Redaktion der Patrikā, in dem er um Erklärung eines wichtigen Themas bat. Gurudeva antwortete mit einem Artikel, der in der Patrikā am 3. August 1955 veröffentlicht wurde. Nachfolgend eine Zusammenfassung dieses Artikels, der den Namen Caitanyadeva und Kalkideva trug:
Frage: Auf Seite 10 der ersten Ausgabe Śrī Bhagavat Patrikās heißt es: „Dieses Kali-Yuga ist kein gewöhnliches Kali-Yuga. Die mahātmās haben dieses Zeitalter dhanya-kali genannt, das gesegnete Kali-Zeitalter. Im dhanya-kali ist es nicht nötig für Kalki-Avatāra, zu erscheinen.“ In der zweiten Ausgabe dann, im Artikel Die Saṅkīrtana-Prozession Śrī Kṛṣṇa Caitanyas steht im Gegensatz dazu: „Um die Sādhus zu befreien und Dharma zu beschützen, erscheint Śrī Hari, der spirituelle Meister, der höchste Herrscher und die höchste Seele aller sich bewegenden und sich nichtbewegenden Wesen im Universum, in der berühmten Stadt Sambhal im Hause eines erhabenen brāhmaṇas namens Viṣṇu als Kalkideva.“ Welche von beiden Erklärungen ist die richtige? Oder können die beiden gegensätzlichen Aussagen in Einklang gebracht werden?
Antwort: Vielen Dank für Ihre wichtige Frage. Zuerst einmal ist es notwendig, zu verstehen, dass bhakta-bhāgavata (der reine Gottgeweihte), grantha-bhāgavata (die Schriften) und Bhagavān von den vier Mängeln der unvollkommenen Lebewesen frei sind, welche da wären: (1) die Neigung, Fehler zu begehen, (2) Täuschung, (3) die Neigung zum Betrug und (4) die Unvollkommenheit der Sinne. Es ist daher nicht möglich, dass bhakta-bhāgavata Śrīla Bhaktivinoda Ṭhākura Fehler begeht oder nicht genug transzendentale Verwirklichung besitzt oder dass in den Schriften etwas Falsches steht. Es stellt sich somit nur die Frage: „Wie können beide Erklärungen gleichzeitig richtig sein? Wie können die scheinbar gegensätzlichen Aussagen miteinander in Einklang gebracht werden?“ Die Antwort ist einfach: Der Artikel Die Saṅkīrtana-Prozession Śrī Kṛṣṇa Caitanyas beschreibt die Situation in einem gewöhnlichen Kali-Yuga. Deshalb heißt es, dass im Kali-Yuga, wenn die Zustände unerträglich werden, Śrī Kalkideva erscheint. Das ist der übliche Lauf der Dinge. Wenn allerdings Kṛṣṇa selbst in diese Welt herabkommt, ergibt sich eine besondere Situation. Kṛṣṇa erscheint einmal an einem Tag Brahmās, gegen Ende eines Dvāparā-Yugas. In dem Kali-Yuga, das auf dieses spezielle Dvāparā-Yugas folgt, erscheint Caitanya Mahāprabhu, die Höchste Persönlichkeit Gottes und der Ursprung aller Inkarnationen, um dieser Welt kṛṣṇa-nāma und kṛṣṇa-prema zu schenken. Obwohl das Kali-Yuga ein Meer von Fehlern ist, kann man in diesem Zeitalter durch nāma-bhajana die höchste Vollkommenheit erreichen. Der Ruhm dieses besonderen Kali-Zeitalters wird im Śrīmad-Bhāgavatam (11.5.36, 12.3.51) und in anderen Schriften beschrieben. Aus diesem Grund wird das Kali-Yuga, in dem Śrī Caitanyadeva erscheint, um den unsterblichen Nektar des Heiligen Namens (śrī harināma) zu schenken, dhanya-kali, das gesegnete Zeitalter, genannt. Śrī Mahāprabhu erklärte, dass sich Seine harināma-saṅkīrtana-Bewegung auf der ganzen Welt verbreitet wird:
pṛthivīte āche yata nagarādi grāma
sarvatra pracāra haibe mora nāma
Caitanya-Bhāgavata, Antya 4.126
In jeder Stadt und in jedem Dorf der Welt wird Mein Name erklingen.
Bereits heute kann man sehen, dass Mahāprabhus Worte in Erfüllung gehen. Allmählich wird sich harināma-saṅkīrtana mehr und mehr in allen sampradāyas, in allen Ländern, unter allen Schichten und Klassen von Menschen und über alle Schranken hinweg verbreitet. Der Tag wird kommen, an dem bhagavad-dharma, śrī harināma-saṅkīrtana, auch in die letzten Ecken der Welt getragen wird und durch seinen glückverheißenden Klang die materiellen Wünsche der Lebewesen verschwinden. Jeder wird in Liebe zu Kṛṣṇa eintauchen. Śrī Caitanyadeva krümmte keinem einziges Lebewesen auch nur ein Haar. Stattdessen wusch er ihre dämonischen Neigungen und sündhafte Natur durch die Flut der kṛṣṇa-prema hinweg. Diese Flut verbreitet sich auf der ganzen Welt. Kalki erscheint im Kali-Yuga, um die Religion zu beschützen und die Dämonen zu vernichten. Da dies von Mahāprabhu schon bewerkstelligt wurde, ist es für Ihn nicht mehr notwendig, zu erscheinen. Zudem besitzt Bhagavān unendlich viele Inkarnationen. Sobald der Ursprung aller Avatāras, die Höchste Persönlichkeit Gottes, selbst erscheint, befinden sich alle Avatāras in Ihm. Durch Ihn erfüllen sie dann Ihre jeweiligen Aufgaben wie Einführen des dharmas für das jeweilige Zeitalter. Deshalb besteht keine Notwendigkeit mehr für Kalki, getrennt zu erscheinen. Die Schriften haben das Erscheinen Kalkis für generelle Kali-Yugas beschrieben.
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