Der goldene Sādhu
Im Winter sandte Ācārya Kesarī Śrīla Gurudeva aus, um Spenden für den Navadvīpa-Dhāma-parikramā zu sammeln. Śrīla Gurudeva reiste zusammen mit Bhaktikuśala Narasiṁha Mahārāja, Mukunda Vinoda Bābājī und anderen älteren Vaiṣṇavas. Jeder freute sich, Gurudeva in seiner Gruppe zu haben, weil das Spendensammeln immer erfolgreich war, wenn er dabei war. Einmal kam Śrīla Gurudeva mit Śrīpāda Narasiṁha Mahārāja nach einer erfolgreichen Sammelaktion zurück. Śrīpāda Narasiṁha Mahārāja gab Ācārya Kesarī 250 Rupien und ging in sein Zimmer. In jenen Tagen war dies eine ziemlich große Summe. Ācārya Kesarī war mit ihrer Bemühung zufrieden. Er fragte Gurudeva: „Wie war das Predigen?“
„Es war sehr erfolgreich“, antwortete Gurudeva, „wir haben dreihundert Rupien gesammelt.“
Ācāryadeva war bekannt als Ācārya Kesarī, der Löwe unter den Lehrern. Als Gurudevas Antwort hörte, rief er sogleich donnernd: „Narasiṁha Mahārāja! Komm hierher! Du hast dreihundert Rupien gesammelt, aber mir nur 250 gegeben? Wo sind die restlichen fünfzig Rupien?“ Śrīpāda Narasiṁha Mahārāja zog zögerlich das restliche Geld heraus und gab es Ācārya Kesarī.
„Warum hast du das Geld behalten?“, fragte Ācārya Kesarī.
„Ich brauche es, damit ich das nächste Predigen organisieren kann“, antwortete Narasiṁha Mahārāja.
„Wenn du mich fragst“, sagte Ācāryadeva, „werde ich dir so viel geben, wieviel du brauchst, mögen es fünfzig oder hundert Rupien oder egal welche Summe sein. Bitte verstehe, dass Vaiṣṇavismus durchschaubar sein muss. Dieses Geld wurde für den Dienst Bhagavāns gesammelt. Wenn es jemand für sich selbst benutzt, wird es wie Gift wirken. Es ist nicht leicht, das giftige Geld, das von materialistischen Menschen gegeben wurde, zu verdauen. Es ist infiziert mit ihren Wünschen nach Sinnenbefriedigung. Wenn du es unabhängig ausgibst, schadet dies deinem Bewusstsein und deinem spirituellen Leben. Ich sage dies zum Wohl aller brahmacārīs und sannyāsīs. Zu Prabhupādas Zeiten gaben wir jede Münze, die wir bekamen, sogleich ihm.“
Nachdem er so gesprochen hatte, nahm Ācārya Kesarī das Geld und steckte es in seine Tasche. Später dann, an dem gleichen Tag, rief er Bhaktikuśala Narasiṁha Mahārāja wieder zu sich und gab ihm die fünfzig Rupien zurück.
Ācāryadeva sagte: „Viele Fallen säumen den Pfad der Entsagung. Es ist wichtig, gründlich abzuwägen, was man tut. Du solltest alles, was du bekommst, deinem Beschützer geben. Durch ihn wird die Spende geläutert.“
Śrīpāda Nṛsiṁha Mahārāja und die anderen Anwesenden nahmen die Anweisungen Ācārya Kesarīs über richtiges Vaiṣṇava-Verhalten ernsthaft an.
Im Laufe seines Dienstes durchreiste Śrīla Gurudeva zusammen mit Mukunda Vinoda Bābājī, einem Schüler Prabhupāda Sarasvatī Ṭhākuras, zahlreiche Dörfer. Einmal, als sie im Barddhamān-Distrikt predigten, kamen sie in ein Dorf namens Kurmona. Als die Bewohner Śrīla Gurudeva sahen, tuschelten sie: „Dieser junge sādhu ist ein kräftiger und gesunder Mann, wir bezweifeln, dass er ein aufrichtiger Entsagter ist. Diese sādhus sind wahrscheinlich Diebe, die sich als Mönche verkleidet haben. Wahrscheinlich sind die beiden zum Auskundschaften geschickt worden. Lass uns die Scheinheiligen festnehmen und einsperren.“
Das Dorf war kurz zuvor von Banditen überfallen worden, deshalb misstrauten viele der Ansässigen jedem Fremden, der zu Besuch kam. Sie kreisten Śrīla Gurudeva und Mukunda Dāsa Bābājī ein und schrien: „Banditen! Diebe! Haltet sie!“
„Wir sind keine Diebe“, verteidigte sich Mukunda Dāsa Bābājī, „bitte lasst uns in Frieden gehen.“
Doch Gurudeva und Bābājī wurden in einem Raum eingeschlossen. Bābājī Mahārāja sorgte sich: „Sie werden uns schlagen! Was sollen wir tun? Oh Kṛṣṇa! Oh Gaurāṅga! Bitte rette uns!“
„Machen Sie sich nicht so viele Sorgen. Alles wird sich zum Guten fügen“, beruhigte ihn Śrīla Gurudeva.
Die Dorfbewohner versammelten sich, um die beiden Diebe, die als sādhus verkleidet waren, anzugaffen. Bābājī Mahārāja bat sie: „Bitte lasst uns frei. Wir kommen aus Navadvīpa-Dhāma und haben keine schlechten Absichten.“
Bald trafen Polizisten ein. Sie schoben die Menge zur Seite und betraten den Raum, in dem Śrīla Gurudeva und der ältere sādhu warteten. Die Dorfbewohner drückten sich an die Fenster, um zu schauen, was passierte. Śrīla Gurudeva sprach die Polizisten auf Englisch an: „Wir sind nur hier, um zu unserem jährlichen Navadvīpa-Dhāma-parikramā einzuladen.“
Die Beamten waren überrascht. „Sie sprechen englisch?“
„Ja.“
Der leitende Polizist fragte: „Wie heißen Sie?“
„Mein Name ist Nārāyaṇa Tiwari.“
„Nārāyaṇa Tiwari!“, staunten die Polizisten. „Der Nārāyaṇa Tiwari?“
Da sie von dem angesehen Nārāyaṇa Tiwari schon viel gehört hatten, salutierten sie ihm mit Hochachtung. Sie unterhielten sich mit ihm für einige Minuten auf Englisch und schimpften dann mit den Dorfbewohnern: „Wisst ihr, wer das ist? Er ist kein gewöhnlicher Mann. Erweist ihm angemessenen Respekt! Er ist ein in Bengalen und Bihar bekannter ehemaliger hoher Polizeioffizier.
Jetzt hat er seinen angesehenen Posten aufgegeben, um von Tür zur Tür zu gehen und zu betteln. Er ist eine große Seele wie Svāmī Vivekānanda. Es ist euer großes Glück und ein Segen, dass ihr diesen erhabenen Gottgeweihten dienen dürft. Sie haben ihre Familie und ihren Besitz aufgegeben und sind hier, um die Botschaft Gottes zu verbreiten. Wer sich gegen sie vergeht, wird sein Leben zerstören.“
Die Dorfbewohner baten daraufhin um Verzeihung und ersuchten Śrīla Gurudeva und Bābājī, länger in ihrem Dorf zu bleiben und hari-kathā zu sprechen. Am Abend versammelte sich das ganze Dorf, um von Śrīla Gurudeva zu hören. Nachdem er sie inspiriert hatte, bhakti in ihrem Zuhause zu folgen, lud er sie zum jährlichen Navadvīpa-Dhāma ein. Viele von ihnen gaben großzügige Spenden von Reis, Dāl und anderen nützlichen Dingen für den Tempel.
In Navadvīpa hingegen wurde es bereits Nacht. Ācārya Kesarī sorgte sich, weil Gaura Nārāyaṇa und Bābājī noch nicht zurück waren. Als sie endlich spät in der Nacht mit einem Berg Spenden eintrafen, erklärte Bābājī Ācāryadeva: „Heute haben wir so viel bekommen! Ich werde diesen Gaura Nārāyaṇa von heute an jeden Tag mit mir auf bhikṣā nehmen. Wenn er Englisch spricht, erweist ihm jeder Respekt.“
Ācārya Kesarī fragte: „Gaura Nārāyaṇa, was ist passiert? Wieso hast du so viel gebracht?”
„Als wir nach Kurmona kamen“, antwortete Gurudeva, „dachten die Leute, dass wir Diebe seien und sperrten uns ein. Als die Polizei jedoch herausfand, dass ich auch ein Polizist war, ließ sie uns frei und rügte die Leute, dass sie uns Schwierigkeiten bereitet hatten. Danach haben sie uns all das gespendet.“
„Das hat Kṛṣṇa so eingerichtet“, sagte Ācārya Kesarī. „Um derart viele Menschen zu erreichen, hättet ihr etliche Städte und Dörfer besuchen müssen. Aber durch Kṛṣṇas Willen kamen sie zu euch, gaben Spenden und knüpften eine Beziehung zu euch und dem Tempel. Jetzt werden sie auch zum Navadvīpa-Dhāma-Parikramā kommen.“
„Ja, wir haben alle eingeladen“, bestätigte Gurudeva.
„Ohne dieses Hindernis wäre euer Predigen nicht so erfolgreich gewesen“, sagte Ācārya Kesarī. „Ich sehe, dass du standhaft bist und dich nicht einschüchtern und von deinem Vorhaben abbringen lässt. Du hast Vertrauen in unsere spirituellen Meister. Ein Schüler darf nie die Hoffnung verlieren und seinen Dienst aufgeben. Materialisten laufen vor ihren Pflichten davon, sobald Probleme auftauchen. Aber du erduldest alle Schwierigkeiten für den Dienst Mahāprabhus und der Vaiṣṇavas. Deshalb werden dich deine Gurus beschützen.“
Fortan rief Ācārya Kesarī stets nach Śrīla Gurudeva, wenn eine wichtige oder anspruchsvolle Aufgabe zu erledigen war.
Dieses Jahr war der parikramā größer als sonst. Hunderte Leute kamen aus den Städten und Dörfern, in denen Gurudeva gepredigt hatte. Alle waren angetan von Ācārya Kesarī und vom parikramā. Auch die Dörfler, die Śrīla Gurudeva und Bābājī Mahārāja eingesperrt hatten, kamen offenen Herzens zu Ācārya Kesarī und gaben ansehnliche Spenden.